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Film-Feuilleton

"Vertrieben für Frieden -
als Griechen und Türken getrennt wurden"

Ein Film von Osman Okkan und Simone Sitte

Sendedatum: ARTE 02.07.2003, 20:45 Uhr


Mehmet Eryaman ist 91 Jahre alt und Ferrat Eris ist 90. Die beiden türkischen Herren leben in der Türkei. Geboren aber sind sie auf der griechischen Insel Lesbos. Die Kindheitserinnerungen an ihre ursprüngliche Heimat haben sie ein Leben lang in ihren Herzen getragen. Lesbos ist nur wenige Kilometer vom türkischen Festland entfernt, war aber für lange Zeit unerreichbar für sie. Nun - 80 Jahre nach ihrer Vertreibung – kehren sie zurück. Und tatsächlich, sie finden alles wieder, erkennen die alten Häuser, die Stätten ihrer Kindertage. Und doch ist das Paradies ihrer Kindheit unwiederbringlich verloren, denn die meisten Menschen, mit denen sie damals zusammenlebten, sind nicht mehr da.

Als sie vertrieben wurden, waren die Jungs nur Schachfiguren in einem willkürlichen Politspiel. Im Juli 1923 wurden die Lausanner Verträge geschlossen, die einen andauernden Frieden zwischen den Völkern besiegeln sollten. Rund 1,5 Millionen Griechen hatten die Türkei zu verlassen und etwa 500.000 Türken mussten aus Griechenland heraus, obwohl beide Bevölkerungsgruppen seit Generationen im jeweils anderen Land heimisch waren.

Die Filmemacher Osman Okkan und Simone Sitte gehen einfühlsam, aber kritisch den Konsequenzen dieser friedensstiftenden Maßnahme nach. Denn nach den Erinnerungen verschiedener Betroffener hatte es vor dem Ersten Weltkrieg ein weitgehend friedliches Zusammenleben der beiden Völker gegeben, sowohl in Griechenland als auch in der Türkei.

Die staatlich verordnete ethnische Trennung wurde 1923 als großer friedenspolitischer Erfolg gefeiert. Osman Okkan, Simone Sitte und ihre Interviewpartner weisen aber auf die Folgen der gewaltsamen Entwurzelung hin, von der immerhin 2 Millionen Menschen betroffen waren. Anhand einiger weniger Betroffener personalisieren sie ein geschichtliches Ereignis und machen es so für den Zuschauer erfahrbar. Neben dem menschlichen Verlust wurde auch das ökonomische Gleichgewicht der Dörfer gestört, da plötzlich ein Prozentsatz der Bevölkerung einfach fehlte.

Die Ausgesiedelten waren oft in ihren vermeintlichen Heimatländern gar nicht willkommen. Man trauerte den ehemaligen Nachbarn nach, mit denen man seit Generationen zusammengelebt hatte. Und die Entwurzelten mussten den Verlust ihrer Heimat verkraften.

Es kommen auch prominente Interviewpartner zu Wort. Der türkisch-kurdische Schriftsteller Yashar Kemal hat sich auch vor dieser Problematik in seinem literarischen Werk nicht gescheut.


Liedermacher Mikis Theodorakis

Die Familie des griechischen Liedermachers Mikis Theodorakis gehörte auch zur Gruppe der unfreiwilligen Flüchtlinge. Sie mussten die türkische Stadt Izmir verlassen. Die Musik von Theodorakis hatte vielleicht deshalb immer eine politische Ausrichtung und Botschaft. Diese stimmte mit den Zielen des türkischen Liedermachers Zülfü Livaneli überein, der die Lieder von Mikis Theodorakis ins Türkische übersetzte und öffentlich vortrug. Er erzählt, wie die Verbindung der beiden Sänger zur Gründung eines Vereins für griechisch-türkische Freundschaft im Jahre 1986 führte.

Mit der Vertreibung der Griechen und Türken 1923 versuchte die Politik, durch die Trennung der Kontrahenten Frieden zu schaffen, hat stattdessen aber ein fortdauerndes Trauma ausgelöst. Auch heute wird der Lausanner Vertrag noch als Vorreiter für ethnische Säuberung anerkannt und im Balkan teilweise auch praktiziert.


h.f. - red / 25. Juni 2003



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