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\"Muxmäuschenstill\"

Deutschland 2004, 90 Minuten

Regie: Marcus Mittermeier, mit: Jan Henrik Stahlberg, Fritz Roth, Wanda Perdelwitz u.a.

(c) X Verleih (www.x-verleih.de)

Filmstart: 8. Juli 2004


Es gab Zeiten, da kam ich beschwingt aus dem Kino. Ein James-Bond-Film zum Beispiel konnte mich zu ungeahnten Höchstleistungen veranlassen, auf dem Heimweg schaffte ich es dann gelegentlich, 007 auf dem Fahrradweg rechts zu überholen. Auch nach Spätvorstellungen will ich diese heiter-unbeschwerte Kinoatmosphäre, in der plötzlich alles so ganz anders ist, für gewöhnlich nicht der Müdigkeit hinter den Augen opfern. Nicht mal bei „Der Herr der Ringe III“ bin ich eingeschlafen, obwohl ein Film mit nicht weniger als fünf Schlüssen gegen zwei Uhr morgens dazu mehr als eingeladen hätte.
Und nun also Mux – der „Weltverbesserer“, den sogar Uli Wickert bewundert. Mux, der Unbestechliche, der Don Quichotte, der die kleinen Regeln des menschlichen Miteinanders knallhart auslegt und mit coltschwingendem Sendungsbewußtsein seiner Umwelt unter die Nase reibt.
Man könnte meinen, Weltverbesserer seien ideal geeignet fürs Kino. Zwar haben wir erst kürzlich bei „The Day After Tomorrow“ ordentlich eins übergebraten bekommen – die Katastrophe kommt, und sie wird fürchterlich –, doch stand in Roland Emmerichs Streifen am Ende das gute alte Happy End: die Welt wird zwar untergehen, aber wir können damit leben.
Das können wir alles vergessen bei „Muxmäuschenstill“, dem Regiedebüt des Fernsehschauspielers und Theatermannes Marcus Mittermeier. Hier geht die Welt nicht unter, hier geht einer ins Detail, ins Detail einer Gesellschaft, die aus Wichsern und Temposündern, aus Pornoguckern, kleinen Hehlern, Exhibitionisten, aus Vergewaltigern, Schwarzfahrern und Bei-Rot-über-die-Ampel-Gängern besteht. Mit vorgehaltener Videokamera wird der menschliche Müll von Mux (Jan Henrik Stahlberg) und Gerd, seinem Helfershelfer (Fritz Roth), quasi reflexhaft eingesammelt, nach Sorten getrennt und recycelt. Ein Häufchen Hundescheiße, das der Köter soeben auf das Trottoir gelegt hat, reicht aus: unter Muxens strenger Miene oder, wenn das nicht zieht, seiner vorgehaltenen Riesenpistole wird das Scheißerle vom Frauchen mit bloßen Händen zum Mülleimer getragen.
Wer’s packt, wird vielleicht, wie die alte Dame auf der Caféterrasse, kurdische Kindergärtnerin und singt das Loblied der Besserung. Oder er rennt vor’n Zug, wie der unter der Eisenbahnbrücke gestellte Grafittikünstler, dem der Weltverbesserer mit den eigenen Spraydosen das Gesicht zusprüht.
Auf „Muxmäuschenstill“ hatte ich mich in gewisser Weise gefreut. Ein paar Preise, darunter den Max-Ophüls-Preis, hatte er schon bekommen, die Kinovorschau mit ihrer Handkameraästhetik gefiel mir, die absurde Verfolgungsjagd, an deren Ende der unsympathische Raser seinen Rennlenker abschrauben muß – geben wir’s doch zu: das haben wir uns doch alle schon mal gewünscht. Vielleicht haben wir sogar mal klammheimlich in einer Boulevardzeitung die Überschriften durchforstet, in der bangen Hoffnung, von so einem couragierten Mitbürger zu lesen, der nervige Schnellfahrer stellt?
Doch je länger man dem Film folgt, desto mehr weicht die Vorfreude einer Beklommenheit, die einen nicht mehr losläßt. Es ist nicht unbedingt die Geschmacklosigkeit, die den tumben Adjutanten – einen „Langzeitarbeitslosen“, wie man uns wissen läßt – auch im Angesicht eines Familienvaters, der gerade Frau und Kinder umgebracht hat, noch Käsekuchen futtern läßt. Zunächst mal ist es ein Grundprinzip von Mux’ „Gesellschaft für Gemeinsinnpflege“, frei nach dem New Yorker Zero-Tolerance-Prinzip noch die kleinste Verfehlung als Straftat zu werten. Und für jede dieser Verfehlungen bitten die Sittenwächter zur Kasse – stellvertretend für die gesamte Gesellschaft. Es geht Mux jedoch nicht nur um die prinzipielle Ahndung, er will einem religiösen Prediger gleich die Menschen zum Umdenken zwingen. Ganz alte Vorstellungen von Sozialdisziplinierung werden hier ausgelebt, die von der guten „policey“ des 16. bis zur Sozialhygiene des frühen 20. Jahrhunderts reichen.
Doch soweit geht der Film gar nicht. Auch die witzigen Anklänge an Michael Moores Dokumentarfilmtechnik scheinen eher zufällig, und an Benoît Poelvoordes legendären Low-Budget-Streifen „Man beißt Hund“, in dem ein Kamerateam einen Serienmörder begleitet, reicht der Film lange nicht heran. „Muxmäuschenstill“ will vor allem die Ironiker unter uns treffen. Die Beklommenheit wächst, weil dem Zuschauer irgendwann klar wird, daß in Mux’ Kosmos auch für ihn kein Refugium, kein Rückzugsterrain mehr bleibt.
Mittermeier und Stahlberg, die beide für das Drehbuch verantwortlich zeichnen, beklagen Werteverlust, Oberflächlichkeit, latente Gewaltbereitschaft. Zugleich schaffen sie eine Figur, die, indem sie der Gesellschaft ihre Abgründe vor Augen führt, alles nur noch schlimmer macht. ‚Wir können uns nicht immer über alles lustig machen, wir sollten uns zusammenreißen‘ – könnte das eine Message sein, für die „Muxmäuschenstill“ steht?
Kein Film für die Nachtvorstellung also, auch keiner, der einen anschließend munter und inspiriert aus dem Kino stolpern läßt. Interessant ist, daß der Film trotzdem einen gewissen Unterhaltungswert besitzt. Die Tragik der anderen scheint sehenswert, und auch Mux selbst hat eine Art von Herz. Als die alte Nachbarin stirbt, weint der Weltverbesserer bitterlich, und als er seine angebetete Muse, die Kellnerin Kira (Wanda Perdelwitz), mit einem anderen auf dem Rummel erwischt, merkt man deutlich, wie die Grundüberzeugungen ins Wanken geraten. Am Ende hat auch Mux seine Leiche im Keller beziehungsweise im märkischen Sand liegen (die Steigerung seines Idols Kant heißt eben immer noch Kanther). Die Einsicht, daß nicht alle Nationen mit denselben Mitteln moralisch zur Raison zu bringen sind, bezahlt Mux, als gefeierter Großunternehmer auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, schließlich auf einer italienischen Landstraße mit dem Leben.
Der Spuk hat ein Ende, und uns Zuschauern wird wieder einmal klar, warum James Bond und Aragorn erfolgreicher sind. Aber das ist schließlich auch ganz gut so.


p.w. – red. / 11. Juli 2004
ID 1163
Weitere Infos siehe auch: http://www.mux-braucht-dich.de






 

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