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Filmbesprechung


Kinostart: 28. September 2006

Zwei Mädchen aus Istanbul

ein Film von Kutlug Ataman

Türkei 2005

Istanbul! Sie ist eine ganz besondere und herausfordernde Stadt, die auf zwei Kontinenten liegt… Europa und Asien. Es gibt kaum einen Film in der Türkei, dessen Geschichte nicht wenigstens dort anfängt oder zumindest nicht dort aufhört, denn diese Stadt ist ein Symbol, ja sogar eine Metapher. Für die einen steht sie für die Verwirklichung eines Traums, wie für andere New York City. Ein Ort der unbegrenzten Möglichkeiten, denn alles scheint dort möglich, sie ist ein Schmelztiegel von unterschiedlichen Kulturen und Gegensätzen… Tradition und Rebellion… Armut und Reichtum …. Moderne und Geschichte…. Unwissenheit und Bildung …eigentlich alles auf kleinstem Raum. Die Frage ist: Wie leben die Menschen dort, im Spannungsfeld dieser Gegensätze? Welche Fragen haben sie, welche Antworten gibt es? Was verbindet und was trennt sie? Wo liegt die Angst, wo die Hoffnung?

In seinem dritten Spielfilm bringt Kutlug Ataman zwei Figuren zusammen, die gegensätzlicher nicht sein können .So gegensätzlich wie Istanbul halt sein kann…. Behiye (Feride Cetin) und Handan (Vildan Atasever).



Behiye (Feride Cetin) und Handan (Vildan Atasever).


Handan ist eine „helle“Figur. Sie strahlt, ist blond, scheint und lacht so hell wie die Sonne. Ihr Leben sieht auch glücklich aus. Ihre sehr attraktive Mutter, Leman (Hülya Avsar), möchte nicht, dass es ihrer Tochter an etwas fehlt. Handan ist ihre Lichtfigur, ohne die es nicht zu leben lohnt. Sie ermöglicht ihr als allein erziehende Mutter, an teuren Vorbereitungskursen teilzunehmen, um nicht an den schwierigen Universitätsaufnahmeprüfungen zu scheitern. Ihr Traum ist es, dass Handan eine gute Ausbildung bekommt, damit sie später eine finanziell unabhängige und starke Frau sein kann.


Leman (Hülya Avsar)

Behiye dagegen ist das Gegenteil von Handan. Sie ist provokant, scheint eine „Ich-habe-keine-Lust-auf-irgendwas“-Haltung zu vertreten. Ihre auffällig rot gefärbten Haare unterstreichen ihre Art um ein Vielfaches. Sie strahlt nicht, sie lacht nicht…. sie schreit, ist aggressiv, voller Zorn. Sie lebt zusammen mit ihrer Familie in ärmlichen Verhältnissen in einem Randbezirk von Istanbul. Obwohl sie die schwierigen Universitätsaufnahmeprüfungen ohne teure Nachhilfe bestanden hat und bald sogar an der renommierten Bogazici Universität studieren darf, scheint das kein Grund zu sein, der ein Lächeln in ihr Gesicht zaubert. Auch die Familie beachtet das nicht mit sonderlicher Begeisterung.

Unabhängig davon, aus welchen sozialen Schichten sie kommen und in welchen Lebensformen sie leben, glücklich ist keine von ihnen. Jede zahlt ihren Preis auf ihre eigene Art und Weise.

Behiye lebt zwar in einer vermeintlich „besseren“ Welt mit einer „kompletten“ Familie, doch das ist nicht das Gute in ihrem Leben. Die Familie bedeutet für sie Unterdrückung. Sie hat eine Mutter, die sehr hilflos, unselbständig und ängstlich ist. Für ihren Bruder ist sie die Zielscheibe für seine Frustration, der sie bei jeder Gelegenheit kritisiert und ihre Haare verabscheut. Sie beugt sich ihrer Familie und tut was man von ihr als klassische Tochter erwartet, doch innerlich fühlt sie sich wie in einem Gefängnis…. Nicht nur mental, sondern auch räumlich. Wenn Gefängnisinsassen aus dem Fenster schauen, würden die auch keine bessere Aussicht als Behiye bekommen. Denn aus ihrem Zimmer kann sie die Schornsteine der benachbarten Fabrik sehen. Das einzig Gute in ihrem Leben ist bzw. könnte sein, dass sie mit ihrer Intelligenz und mit ihrem Studium diesem Kreislauf ausbricht.
Handan, die „Glückliche“, ist eigentlich ein einsames Mädchen. Sie hat keine Freunde und ist die meiste Zeit alleine, da ihre Mutter auch nicht viel Zeit für sie hat. Leman bestreitet den gemeinsamen Lebensunterhalt durch zahlungskräftige Liebhaber und mutet ihrer Tochter als heranwachsende Frau zu, mit anzusehen wie ihre Mutter sich an Männer verkauft und dabei unbewusst hofft, dass sich der ein oder andere Mann doch in sie verliebt – sie aber letztendlich immer wieder verlassen wird. Sie wünscht sich insgeheim eine „normale“ Mutter, die nicht mit 35 von Männern verlassen wird und wieder kein Geld hat, um die notwendigsten Dinge zu kaufen. Sie wünscht sich eine Mutter, die nicht nur Pizza bestellt und sich über Essengerüche in der Wohnung aufregt. Sie fragt sich, wohin ihr gemeinsamer Weg führen soll und vermutet nichts Gutes.

Die beiden Figuren treffen durch eine gemeinsame Freundin aufeinander und „verlieben“ sich. Der verbindende Punkt der beiden Mädchen ist ihre Unzufriedenheit mit ihrem Leben, das merken sie schnell. Ihre Frage, wie sie alles hinter sich lassen und neu beginnen können, scheint beantwortet. Jede von ihnen denkt, dass die andere die Lichtfigur im eigenen Leben sein kann und lässt den anderen nicht mehr los. Wenn sie zusammen sind, scheint sich alles Schwere in Leichtigkeit zu kehren. Alles Dunkle gewinnt an Helligkeit. Sie schöpfen gemeinsam Hoffnung und Kraft und haben ein gemeinsames Ziel. Das Leben bekommt wieder einen Sinn. Behiye gefällt unter anderem auch Handans Familienkonstellation. Für sie ist es etwas neuartiges, jemanden zu treffen, der ohne Vater aufwächst, ja sogar unehelich gezeugt worden ist. Sie ist bereit alles Neue in ihr Leben zu lassen, um das Alte von sich abzustreifen. Handan ist begeistert von den Kochkünsten ihrer neuen Freundin und genießt die Köstlichkeiten der türkischen Küche, die ihr in ihrem früheren Alltag verborgen blieben.

Dass Handans Vater vor Jahren nach Australien ausgewandert ist, weckt in den Mädchen den Traum es ihm gleich zu tun, ihre Heimat zu verlassen und irgendwo, wo sie niemand kennt, ein neues Leben zu beginnen.
Leman sieht diese Freundschaft mit skeptischen Blicken und reagiert eifersüchtig, doch sie muss schnell feststellen, dass, wenn sie Behiye nicht akzeptiert, ihre Tochter verliert. Doch dieses Risiko will sie natürlich nicht eingehen, denn sie klammert sich an ihre Tochter wie eine Ertrinkende an einen Strohhalm und hofft, dass Behiye genau so schnell verschwindet, wie sie gekommen ist. Auch Behiyes Familie reagiert empört und untersagt ihr die Freundschaft.

Doch wer am Ende des Films seinen Traum wirklich in die Tat umsetzt, zumindest das Risiko dafür eingeht, wer zurückbleibt und wer weiterhin in seinem Käfig gefangen ist, sei hier nicht verraten… nur so viel: Istanbul ist voller Überraschungen und somit auch seine Menschen.

Kutlug Ataman, der mit seinem vor acht Jahren entstandenen Film „Lola und Bilidikid“ auch in Deutschland bekannt wurde, gelingt auf subtile Weise ein vielschichtiges Bild der modernen Türkei zu zeichnen. Die Geschichte basiert auf den in der Türkei sehr kontrovers diskutierten Bestseller von Perihan Magden. Die gesellschaftlichen Umstände, die verschiedenen familiären Umstände, in denen die beiden Hauptfiguren leben, stehen nicht zu sehr im Fokus. Ihr Einfluss auf die Entwicklung der beiden Figuren ist jedoch immer gegenwärtig. Die innere Suche, die die Mädchen antreibt, das Wissen, die Hoffnung, dass es da draußen irgendwo eine bessere Alternative gibt, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschischte. Von Anfang an herrscht eine große Unruhe in den Bildern, nur selten kommt die Kamera und mit ihr der Film zur Ruhe und gibt den Figuren Momente des Rückzugs, die sonst zwischen gegensätzlichen Emotionen schwanken. Zur Authentizität des Films tragen neben dem Stil vor allem die beiden jungen Hauptdarstellerinnen bei, die die Verlorenheit ihrer Figuren überzeugend verkörpern. Nur Hülya Avsar (Leman) gelingt es nicht an ihre alten überzeugenden Leistungen heran zu kommen. Bevor sie ins kommerzielle Unterhaltungsgeschäft eingestiegen ist, war sie eine wunderbare Schauspielerin, die auch in dem in Deutschland bekannt gewordenem Film „Berlin in Berlin“ mitgespielt hatte.


Mensure Rüffer - red / 1. Oktober 2006
ID 2697
Zwei Mädchen aus Istanbul

Festivals & Preise

25th Istanbul International Film Festival - National Competition (2006): Best Director

17th Ankara International Film Festival (2006): Best Film, Best Director, Best Screenplay, Best Young Actress (Feride Cetin)

Santa Barbara Film Festival (2006)

Antalya Golden Orange Film Festival (2005): Best Film, Best Director, Best Actress, Best Photography, Best Sound Design

Sydney International Film Festival - World Premiere (2005)

London Film Festival (2005)

Oslo Film Festival Official Competition (2005)

Melbourne Film Festival (2005)

Sydney Queers Film Festival (2005)

Thessaloniki Film Festival: Tribute to Kutlug Ataman (2005)

Cleveland Film Festival (2005)

Turin Film Festival (2005)



Über den Regisseur Kutlug Ataman

Geboren 1961 in der Türkei/Istanbul, lebt KUTLUG Ataman in London und Barcelona. Seit 1984 arbeitet er mit Film, seit 1997 mit Video und Installationen. Nach seinem Abschluss an der Filmhochschule in Paris und Los Angeles 1987, macht er mit "La Fuga" seinen ersten Kurzfilm, der mehrere Preise gewinnt. Kutlug kehrt nach Istanbul zurück und wird dort zu einer der führenden Figuren in der türkischen Schwulenbewegung. Seine wöchentliche Kolumne in der Zeitung "Gazete Pazar" gilt als wichtiger Orientierungspunkt für die community.

Sein erster Langspielfilm "Karanlik Sular" / "Serpent`s Tale" (1993) gewinnt Preise bei verschiedenen internationalen Filmfestivals und gilt unter Filmhistorikern als Beginn des Jungen Türkischen Films. Mit seinem zweiten Feature "Lola + Bilidikid" (1998) gewinnt er auf der Berlinale den Teddy Special Jury Award. Außerdem erhält er den Publikumspreis bei dem International Gay and Lesben Film Festival in Turin und wird als "bester Film" bei dem Mediterranean Film Festival und dem Ankara Film Festival ausgezeichnet, sowie für "beste Regie" bei dem Film Festival in New York. Mitte der neunziger Jahre begann Ataman in den Kunstkontext zu wechseln und mit Videoinstallationen zu arbeiten. Seine Filme waren unter anderem auf den Biennalen Istanbul (1997), Venedig(1999), Berlin (2000) und in Galerien und Museen in Europa und den USA zu sehen.

Weitere Infos siehe auch: http://www.zwei-maedchen-aus-istanbul.de/






 

FILM Inhalt:

Rothschilds Kolumnen

BERLINALE

DOKUMENTARFILME

DVD

EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM
Reihe von Helga Fitzner

FERNSEHFILME

HEIMKINO

INTERVIEWS

NEUES DEUTSCHES KINO

SPIELFILME

TATORT IM ERSTEN
Gesehen von Bobby King

UNSERE NEUE GESCHICHTE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal

 


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