Kultura-Spezial
Das Programm im September 2005 | Oktober 2005 | November 2005 | Dezember | Januar 2006 | Februar 2006 | März 2006

Tübingen, September - Dezember 2005

„Ein Zentrum in der peripherie“

Eine Installation für Videokunst

Die Galerie peripherie im soziokulturellen Zentrum Sudhaus e.V. in Tübingen zeigt vom 21. September 2005 bis 29. März 2006 zeitgenössische Videokunst und experimentelle Dokumentationen von internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Eine raumbezogene Installation - ein mit Sitzplätzen ausgestatteter, gekippter Kubus - wird für sechs Monate jeden Mittwoch Abend zum „Kunst-Kino“. Der Schwerpunkt des Programms konzentriert sich auf die längeren Videoproduktionen der Neunziger Jahre bis heute.

Die Installation

Seit 1996 ist die im Kesselraum der ehemaligen Brauerei eingerichtete Galerie ein überregional bekanntes Forum für zeitgenössische Kunst. Der Ort, ein fast gleichseitiger Kubus mit raumhoher Fensterfront, zentraler Säule und einer eingezogenen Galerie, inspiriert zur künstlerischen Auseinandersetzung mit den architektonischen Besonderheiten. Durch den Einbau des „Kunst-Kinos“ wird die Qualität und Atmosphäre des Raumes neu definiert. Es entstanden zwei voneinander getrennte Räume, die doch direkt miteinander verknüpft sind und sich durchdringen. Der Kino-kubus mit seinen 4,50 m hohen Seitenwänden spiegelt den Außen-Innenraum und kontrastiert ihn zugleich durch seine gekippte Position. Durch sie entstehen intime Nischen, die der größenbedingten Dominanz des Raums entgegen wirken, und es eröffnet sich in Richtung der Fensterfront eine Freifläche, die diesen imposanten Bereich mit seinem Ausblick nach draußen unterstreicht. Von der Galerie aus bietet der Blick auf die Oberseite des gekippten Kubus eine besondere, neue Möglichkeit der Raumerfahrung.

Der formal ästhetische Charakter der äußeren Form bekommt im Innern des Kubus eine funktionale Bedeutung. Sitzplätze auf der Schräge laden den Besucher zum Kunst-Kino-Vergnügen ein. Aus 180 eingereichten und von Verleihern zur Verfügung gestellten Videos wählte ein vierköpfiges Gremium 57 Werke von internationalen Videokünstlern und Dokumentarfilmern für das Programm aus. Das Spektrum reicht von den narrativen und konzeptuellen Produktionen bis hin zu experimentell, dokumentarischen und animierten Videos.
Videokunst und Screening-Programm

Während die Anfänge der Videokunst noch von einem Ausloten des technisch Machbaren gekennzeichnet waren, sich als Angriff auf die medien-kulturellen Autoritäten verstanden und die minimalistischen Ansätze der Kunst der 60er Jahre aufgriffen, thematisieren die zeitgenössischen Werke die veränderten Wahrnehmungsstrategien in unserer mediendominierten Welt. Die heutigen Videokünstlerinnen und -künstler setzen die Medienerfahrung des Betrachters voraus. Die Sprache und Codes des Avantgarde- aber auch des Hollywoodfilmes werden zitiert und unkommentiert als Stilmittel genutzt. Allein die Andeutung von Orten, Charakteren oder Themen genügt, um dem Betrachter Sinn und Inhalt eines Videos verständlich zu machen. Direkt oder verfremdet verwendetes Found-Footage Material aus Film und Fernsehen wie auch die Dekonstruktion dieser Produktionen reflektieren die Medienwelt und eröffnen neue Möglichkeiten der Wahrnehmung und kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichlichen und kulturellen Mustern.
Bespielhaft hierfür ist die Arbeit der Österreicherin Constanze Ruhm: „'X Characters: RE[hers]AL' löst sieben weibliche Charaktere, Ikonen aus der Geschichte der Kinomoderne, von ihren filmischen Vorlagen und führt sie als Gruppe von Reisenden zusammen, die in der Boarding Area eines Flughafens festsitzt. Die sieben Charakter wurden als Signifikanten ausgewählt, um das Entstehen neuer Dialoge und anderer Stimmen in Gang zu setzen, die sich entlang der Kontur der Neuen Medien bewegen. Zunächst stellten sieben eingeladene Teilnehmerinnen diese Figuren in moderierten Szenen in einem Internet-Chatroom dar. Aus dem bearbeiteten Material der Chatscripts entstand eine szenische Performance, die von sieben in Berlin lebenden Schauspielerinnen dargestellt wurde. „X Characters: RE[hers]AL“ versucht, einen zeitgenössischen Diskurs zu entwerfen, in dem Korrespondenzen zwischen feministischer Filmtheorie und -praxis und zeitgenössischen Konstruktionen weiblicher Repräsentation im Kino untersucht werden. Es bezieht sich auf unterschiedliche Auffassungen von weiblichen Stimmen in der Kinomoderne und entwickelt aus diesem Blickwinkel einen performativen Schauplatz zwischen Kino, Theater und den Neuen Medien, der auf den jeweiligen Filmcharakteren basiert.“ (Constanze Ruhm)
Spätestens die Documenta 11 hat gezeigt, dass sich die zeitgenössische Kunst wie auch die Videokunst vermehrt sozialen und politischen Fragen zuwendet. Die Werke mit meist dokumentarischem Charakter berichten in sachlich unkommentierter Form und mit reduziertem Einsatz formal ästhetischer Mittel von den Krisen unserer Zeit. Krieg, Globalisierung, Migration und Elend sind Themen von Künstlerinnen und Künstlern aller Nationen. Der Spanier Ezequiel Sarser lässt uns in seinem Video „Puerta 1“ für 53 Minuten mit einer endlosen Schlange von wartenden Migranten ausharren. Die ganze Nacht hindurch füllen Menschen aus aller Welt die Straße vor dem Regierungsgebäude, in der Hoffnung, am Morgen die Papiere zu erhalten, die ihren Aufenthalt in Spanien legalisieren. Für die meisten ist dies nicht die einzigste Nacht, wie wir aus den Berichten direkt in die Kamera von den Wartenden erfahren.
Wie bei den meisten dokumentarischen Videos zeigt Ezequiel Sarser einen Ausschnitt der Re-alität, transportiert mit seinen Bildern die Atmosphäre des Ortes und Ereignisses, unprogrammatisch und fern von Utopien.

Der individuelle Blick oder persönliche Geschichten sind Ausgangspunkt vieler zeitgenössischer Videoproduktionen. Mit unverblümter Offenheit geben Künstlerinnen und Künstler Privates preis, um daraus allgemeine gesellschaftlich gültige Fragestellungen zu entwickeln. Auch hier ist die Arbeit einer Österreicherin exemplarisch. Anna Steininger zeigt in ihrem Video Terminal „Identity #4“, „mit einer wackeligen Handkamera aufgenommen, immer wieder in subjektiven Einstellungen das Gehen um verschiedene Straßenecken einer Stadt. Der Blick ist in Gehrichtung gewandt und streift parkende Autos, Kinder, Radfahrerinnen oder Passanten, die der Kamera entgegen kommen. Die Frau hinter der Videokamera erzählt davon, warum sie diese scheinbar unbedeutenden Aufnahmen macht. Es entspinnt sich ein dichter Monolog, der in das Universum dieser Frau führt, der aber über eine autobiografische Darstellung hinausgehend auch über die Produktion und Bedeutung von Bildern reflektiert“. (Anna Steininger)
Derartige persönliche Perspektiven schaffen eine neue Authentizität und bieten dem Betrachter Orientierungsmöglichkeiten in gesellschaftlichen, sozialen und politischen Realitäten.

Auf dem Programm des Projektes „Ein Zentrum in der peripherie“ stehen außerdem Werke der Schweizerin Chantal Michel, deren skurille Selbstinszenierungen einen parodistischen Umgang mit dem Körper zeigen. Der in Frankreich und Canada lebende und im Libanon geborene Künstler Jayce Salloum wird mit zwei die Situation im Libanon thematisierenden Videos „(As If) Beauty Never Ends (Untitled Part 3b)” sowie „Everything and Nothing“ vertreten sein, und der Belgier Sven Austijnen vermittelt in seiner humorvollen Fake-Dokumentation „Le Guide du Parc“ Historisches über den Park Royal in Brüssel und gewährt Einblicke in die Gewohnheiten der im Park beheimateten Gay-Szene. „Opus 110 a“ des Künstlers Christoph Brech aus München ist eine der wenigen mimimalistischen Werke des Progamms. Sein Video fokussiert in extremer Nahansicht den Rücken des Dirigenten Christoph Poppen. Die beim Dirigieren von Schostakowitschs Kammersinfonie "Opus 110a" entstehenden Falten seines Fracks visualisieren die Dynamik der Musik.
Neben einer Reihe von Arbeiten der jungen Videogeneration zeigt „Ein Zentrum in der peripherie“ auch die mit dem Internationalen Medienkunstpreis ausgezeichneten Werke von Robert Cahen (Frankreich), Harun Farocki (Deutschland) und Kassandra Wellendorf (Dänemark).
Des weiteren präsentieren zwei Sonderveranstaltungen die Videos „Media Flow I + II“ aus dem Bereich visual music, zusammengestellt von den Stuttgarter Galeristen Dr. Cornelia Lund und Dr. Holger Lund und das Video „Letters from Tentland“ der Künstlerin Karina Smigla-Bobinski. Die in München lebende Polin dokumentiert in ihrer Arbeit das gleichnamige experimentelle Tanztheaterstück, das von Helena Waldmann inszeniert und im Januar 2005 in Teheran urgaufgeführt wurde. Die deutsche Choreografin und sechs iranische Schauspielerinnen realisierten ein mutiges und avangardistisches Stück, bei dem sich die Tänzerinnen in sperrigen Zelten über die Bühne bewegen. Radikal verhüllte Frauen entführen uns in ein rätselhaftes ‚Innen-leben’.
An vier weiteren Abenden wird die Sammlung Goetz aus München zu Gast im „Kunst-Kino“ sein. Ingvild Goetz präsentiert aus ihrer international bekannten Sammlung für zeitgenössische Videokunst u. a. Werke von Gary Hill, Ulrike Ottinger, Mike Kelly und Tracey Moffatt. Die Videos der aufgeschlossenen und experimentierfreudigen Sammlerin sind ansonsten im eigenen, von Jacques Herzog und Pierre de Meuron entworfenen und 1993 fertiggestellten Museumsbau in München zu sehen.
Im Dezember und Januar zeigt sich an vier Abenden Wand 5, Veranstalter des jährlichen Filmwinters in Stuttgart für das Programm verantwortlich. Sie werden neben Produktionen aus ihrem Verleih auch „Neues vom freien Markt, - Entdeckungen vom 19. Stuttgarter Filmwinter“ präsentieren.
Das komplette Programm der sechs Monate lässt sich unter www.galerie-peripherie.de nachlesen und wird jeweils in der aktuellen Presse angekündigt.

Vermittlungsforum und Lounge

Mit dem Projekt „Ein Zentrum in der peripherie“ bietet die Galerie einem interessierten Publikum die Möglichkeit, Videokunst angemessen zu rezipieren. Neben wenigen kurzen Videos sind es gerade die längeren Produktionen, die im Mittelpunkt des Programms stehen. Sie werden in den klassischen Ausstellungszusammenhängen oft nur sehr oberflächlich wahrgenommen, da die Besucher sich selten die Zeit nehmen, länger vor einer Arbeit zu verweilen.
Die im „Kunst-Kino“ gezeigten Werke bleiben nicht unkommentiert. Ein wesentlicher Aspekt des Projektes ist die Vermittlungsarbeit. Der Umraum des Kubus – die Lounge – dient dabei als Vermittlungsforum. Statements zur jeweiligen Arbeit, Hintergründe zur Idee, Einblicke in Arbeitsprozesse sowie Verweise auf das Gesamtwerk der Künstlerin oder des Künstlers werden als Videoclip, Audioclip eines Interviews oder als augelegtes Text- und Bildmaterial dem Publikum in der Lounge präsentiert. Dieser Ort der Vermittlung, des Diskurses und der Kommunikation wurde von Studierenden der Freien Kunstakademie Nürtingen, unter Leitung von Michael Gompf, Dozent für Projektorientierte Kunst / Kunst im öffentlichen Raum, mit künstlerisch bearbeiteten Tischen ausgestattet. Sie greifen, wie auch die gestalteten Außenwände des Kubus, den theoretischen Diskurs zum Thema Videokunst auf und besitzen einen gewissen Aufforderungscharakter, um beim Besucher der Lounge kommunikative oder interaktive Prozesse anzuregen.

Kinder- und Jugendprogramm

Ab Oktober 2005 bietet das Projekt „Ein Zentrum in der peripherie“ außerdem ein Workshop-Programm für Kinder und Jugendliche. Hier kann alles rund ums Videofilmen und die Gestaltung von Bildern selbst ausprobiert werden. Das Angebot reicht vom Daumenkino herstellen, über das Produzieren eigener Clips mit unterschiedlich thematischen Schwerpunkten bis hin zur Knetanimation, Trickfilm in der Blue-Box und Experimentieren mit Blankfilm. Die einzelnen Veranstaltungen zur Vermittlung von ästhetischer Bildung und Medienkompetenz werden von den Videokünstlerinnen Anja Kempe, Hanna Smitmans, Anne-Christine Klarmann und den Medienpädagoginnen Sigrid Kulik und Daniela Baum durchgeführt. Ein weiteres Angebot wendet sich an Schulklassen aus Tübingen und der Region. Sie besichtigen unter fachlicher Leitung die Galerie peripherie, erhalten Informationen zur Rauminstallation und können im Kubus aktuelle Positionen der Videokunst kennenlernen und darüber diskutieren. Eine Auswahl der Videos für diese Veranstaltung hat das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe zur Verfügung gestellt.

Künstlerinnengruppe NERZ-KG

„Ein Zentrum in der peripherie“ wurde von der Künstlerinnengruppe NERZ-KG konzipiert und realisiert. Brigitte Braun (Reutlingen) und Betina Panek (Tübingen) arbeiten seit 1997 gemeinsam im Bereich der Kunstproduktion, -organisation und -vermittlung. Ihr Interesse gilt der Auseinandersetzung mit Räumen und Orten oder gesellschaftlich sozialen Strukturen. Auch der Kunstbetrieb selbst ist immer wieder Gegenstand ihrer im Erscheinungsbild unterschiedlichen Projekte und Aktionen. Der Kubusentwurf und die Realisation entstand in Zusammenarbeit mit dem in Wien lebenden, deutschen Architekten Marcus Krenn.

Obwohl sich Videos mittlerweile auf dem internationalen Kunstmarkt durchgesetzt haben, bleibt die Präsentation gerade wegen des hohen technischen Aufwands einigen wenigen Institutionen und Sammlungen überlassen. Mit ihrem Projekt hat NERZ-KG der Videokunst ein Forum jenseits der großen Ausstellungshallen und Kunstveranstaltungen geschaffen.
In Zeiten leerer Kassen für Kunst und Kultur und der Tendenz, Fördermittel und Sponsorengelder ausschließlich in etablierte Projekte zu investieren, wurde die Realisation des Projekts zu einem Spagatakt für die Künstlerinnen und den Veranstalter. So zählt „Ein Zentrum in der peripherie“ zu den Low-Budget Projekten, das nur durch Idealismus, den Einsatz vieler unbezahlter Helfer, das Verständnis der beteiligten Videokünstlerinnen und -künstler und der Unterstützung einiger weniger Sponsoren realisiert werden konnte.


Brigitte Braun, Juli 2005
ID 1948
Veranstaltungsort
Galerie peripherie im Sudhaus, Tübingen

Veranstalter
Sudhaus e.V.
Hechinger Straße 203
72072 Tübingen

Konzeption und Realisation
NERZ-KG: Brigitte Braun, Betina Panek

Kubusentwurf und Realisation
Marcus Krenn

Lounge-Gestaltung
Studierende der Freien Kunstakademie Nürtingen
Siegfried Knab, Kathleen Rieger, Lukas Fütterer, Kevin Eberhardt, Stephan Jäger
Leitung: Michael Gompf, Dozent für Projektorientierte Kunst / Kunst im öffentlichen Raum

Gestaltung und Illustration
Katja Witt

Text und Bild
Brigitte Braun, Betina Panek, Katja Witt sowie die KünstlerInnen und Verleiher der Videoarbeiten

Kinder- und Jugenprogramm
Daniela Baum, Anja Kempe, Anne-Christine Klarmann, Sigrid Kulik, Hanna Smitmans
Koordination: Sigrid Kulik

Gefördert durch
Stadt Tübingen
Regierungspräsidium Tübingen
Rotary-Club Reutlingen–Tübingen–Nord
Stiftung Landesbank Baden-Württemberg
MFG Filmförderung Baden-Württemberg
5000xZukunft
Stiftung MedienKompetenzForum Südwest

Mit freundlicher Unterstützung
Sammlung Goetz, München
Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) Karlsruhe
Freie Kunstakademie Nürtingen
„pc-online" Computer Handels GmbH
Tübinger Handelsdruckerei Müller+Bass

Informationen
www.galerie-peripherie.de (aktuell)
brigitte.braun@addcom.de

Weitere Infos siehe auch: http://www.galerie-peripherie.de

Das Programm im September


Mittwoch 21. September 2005
20 Uhr
Eröffnungsveranstaltung „Ein Zentrum in der peripherie“

die\\medien\kunst\rolle 2003, 85 Minuten

20 beispielhafte internationale Kunstvideos (shortfilm, Animation, Experimentalfilm) aus elf Jahren \\internationaler\medien\kunst\preis, darunter Beiträge von Tracey Emin, Dara Birnbaum, Ira Schneider, Eija-Liisa Ahtila, Corinna Schnitt und Paul Garrin. Produziert wurde die »Rolle« von ZKM und SWR in Zusammenarbeit mit der MFG [Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg].


Samstag 24. September 2005
ab 14 Uhr
Tag der Offenen Tür im Sudhaus, Tübingen

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

X Characters / RE:(hers)AL 2004, 74 Minuten (Loop)
Constanze Ruhm, Österreich


X Characters: RE[hers]AL löst sieben weibliche Charaktere Ikonen aus der Geschichte der Kinomoderne von ihren filmischen Vorlagen, und führt sie als Gruppe von Reisenden zusammen, die in der Boarding Area eines Flughafens festsitzt. Vom Weg abgekommen und von ihren historischen Routinen befreit, beginnen die sieben Charaktere jede auf ihre Weise in dieser neuen Situation zu agieren: Sie begegnen einander an einer Kreuzung, die sich als Warteschleife tarnt. Dort überschneiden sich verschiedene Routen, und neue Muster entstehen, als diese Schlafwandlerinnen, Androiden, Phantasmen, Prostituierte, Schauspielerinnen, Krankenschwestern und Selbstmörderinnen beginnen, Beziehungen zu entwickeln und neue Verhaltensweisen an den Tag zu legen, um die Leerstellen ihrer Scripts entlang einer spekulativen Orientierung in eine ungewisse Zukunft miteinander kurz zu schliessen. Die Koordinaten der Kompasse werden neu ausgerichtet, neue Scripts enstehen, um die alten Scripts voneinander zu differenzieren und diese in andere Richtungen zu orientieren. So wird eine Kosmologie veränderlicher Identitäten kartografiert, die von den neuen Stimmen der Charaktere strukturiert wird. Diese Stimmen entstehen und formen sich in Differenz zu den ursprünglichen Rollen, entlang eines zeitgenössischen Begriffs von Scripting, der zwischen Film, Theater und Chatroom operiert, um so eine hybride Medienidentität zu produzieren.
Über den Zeitraum eines Jahres trafen eingeladene TeilnehmerInnen in regelmässigen Abständen in einem Chatroom zusammen, um in einer improvisierten Chat-Gruppe jeweils eine der Figuren zu verkörpern. Zu moderierten Themen und Situationen entstanden Diskussionen und Dialoge, innerhalb derer die Teilnehmerinnen die ursprünglichen Profile der Charaktere rekonfigurierten und adaptierten. So operierten sie im Zwischenraum von eigener Identität und dem Begehren der ursprünglichen Figur.
Die Ergebnisse, die aus dieser ersten performativen Bewegung entstanden, wurden als Grundlage für ein Drehbuch verwendet. Das daraus entstandene Script zeichnet sowohl die Passagen der Charaktere wie auch die Riten der Geschichten auf. Es wurde mit sieben Berliner Schauspielerinnen als theatralische Inszenierung realisiert, die auf Video aufgezeichnet wurde.

Die Künstlerin Constanze Ruhm war neben Einzelausstellungen u.a. in London, Wien und New York an zahlreichen international renomierten Gruppenausstellungen beteiligt, insbesondere im Rahmen des österreichischen Beitrags The Media Pavillion zur 46. Biennale von Venedig 1995.


Mittwoch 28. September 2005
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

BergBildBand 2004, 37 Minuten
Nik Kern, Köln




In ihrer mehrteiligen Videoarbeit BergBildBand untersucht Nik Kern die Alpenidylle aus der Sicht des Städters. Idealbilder der unverdorbenen Berglandschaft, die schon über Supermarktprodukte suggeriert werden, finden ihre Entsprechung vor Ort in den perfekt angelegten Touristenschauplätzen.
In Form von Dokumentation und Inszenierung ergründet Nik Kern die voranschreitende Verkitschung der Alpen, deren Wirklichkeit sich nicht mehr von Wunschvorstellung und Klischee befreien kann. Denn wir schützen nicht die Natur, sondern das Bild, das wir von ihr haben.

und

Adiu Monde 1997, 27 Minuten (OmeU)
Sandra Kogut, Brasilien




Wahre Geschichten wurzeln oft in Legenden. Auf der Suche nach authentischen Bildern gelebter Tradition begibt sich die Filmemacherin Sandra Kogut in ein „typisches“ Pyrenäendorf. Was echt aussieht, wissen die Bewohner bestens. Deren vielfältige Medienerfahrungen führen für die Künstlerin und die Zuschauer zu überraschenden Wendungen. Die intelligente Konstruktion der Geschichte lässt es für uns nie eindeutig werden, was Dokumentation und was Inszenierung ist. Auf der Spur der Legende von Pierre und Claire zersplittert sich die Geschichte in einander widersprechende Erzählfragmente. Dadurch entsteht ein interaktives Spiel mit dem Zuschauer, das sonst eher den neuen Medien zugewiesen wird. Die Künstlerin beweist dadurch, dass das, was als neue Form medialer Kommunikation verstanden wird, oft den Vorsprung im Einfachen hat: dem Dorfgespräch.

Das Programm im Oktober


Mittwoch 05. Oktober 2005
20 Uhr

Die Sammlung Goetz aus München zeigt:

Freak Orlando 1980/81, 122 Minuten
Ulrike Ottinger, Deutschland


Der Film handelt von einer Weltgeschichte der Freaks in fünf Akten. Die Hauptfigur Orlando Zyklopa verweist auf Virginia Woolfs berühmte Romanfigur „Orlando“. Beiden ist neben dem Namen die Eigenschaft gemein, ihr Geschlecht zu wechseln, nach dem Tod wiedergeboren zu werden und in verschiedenen Jahrhunderten zu leben. Man folgt der Wanderin zwischen Welten und Zeiten durch unterschiedliche historische Epochen. So geht es in der antiken Vorzeit um den Ausverkauf der Mythen, im Mittelalter um die Wundergläubigkeit, sowie um die Verfolgung und Folter im Spanien der Inquisition. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wird die Zurschaustellung von Freaks in Abnormitätenschauen thematisiert und in der Gegenwart bei einem Hässlichkeitswettbewerb in Italien. Während dieser knapp zweistündigen Zeitreise wird in den ca. 160 Nebenrollen alles aufgeboten, was in der Vergangenheit abgeschoben, geächtet, verfolgt, bestenfalls auf der Kirmes zum Bestaunen freigegeben wurde.

Die 1942 in Konstanz geborene Ulrike Ottinger gehört zu den international renommiertesten Vertreterinnen des deutschen Films. Da erstaunt vielleicht zunächst, dass ihr Werk in der Kunstszene weit mehr bekannt ist als beim klassischen Kinopublikum. So sind ihre seit den 1970er Jahren entstehenden Filme auch häufig im Rahmen von Kunstausstellungen zu sehen. Ihr Film „Südostpassage“ (2002) wurde auf der documenta 11 in Kassel vorgestellt. Die Einladung zur Teilnahme an diesem nach wie vor weltweit wichtigsten Ausstellungsereignis im Bereich der Gegenwartskunst verdeutlicht das Ansehen Ottingers ebenso wie ihre Sonderstellung zwischen Film und bildender Kunst.

1989 Deutscher Filmpreis - Filmband in Gold für die visuelle Gestaltung, Berlin [D]; Audience Prize Montréal [CDN]; Outstanding Film of the Year, London [UK]; 1986 Preis der Deutschen Filmkritik



Mittwoch 12. Oktober 2005
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

Puerta 1 2001, 53 Minuten (OmeU)
Ezequiel Sarser, Spanien

In der ersten Nacht dieses neuen Jahrhunderts stehen Migranten aus aller Welt vor dem Regierungsgebäude in Barcelona Schlange. Sie haben bereits Tage gewartet um die Papiere zu erhalten, die ihren Aufenthalt im Land legal-isieren. Einige kamen mit dem Flugzeug über den Atlantik, andere riskierten ihr Leben beim Überqueren der Meerenge zwischen Marokko und Spanien mit einem kleinen Boot. Sie bringen ihre Kinder und Angehörige mit , um in der eisigen Kälte des Winters auf dem Boden liegend zu warten. Sie versuchen in ein Land zu gelangen, dass sie, mit einem, auf Stärke basierenden Darwin-schen Auswahlverfahren begrüßt. Sie warten darauf, dass sich die Tür Num-mer „Eins“ am Morgen öffnet und sie schließlich in die Welt eintreten können, die ihnen in ihrem Heimatland versprochen wurde.



Mittwoch 19. Oktober 2005
20 Uhr

Skyline 2004, 12 Minuten
Juliane Stiegele, Deutschland


„Auf den Häusern von 22 Weinbergschnecken werden papierne Wolkenkratzer befestigt, und mit ihnen zunächst eine Skyline mit vertrautem Erscheinungsbild aufgebaut. Von diesem Zeitpunkt an bestimmen die Tiere den Lauf des Geschehens und verfahren nach ihren eigenen Intensionen. Sie haben keinerlei Interesse daran, die Häuser senkrecht zu halten, bilden neue Konstellationen nach ihren eigenen sozialen Strukturen, kriechen über- und untereinander oder schlafen einfach. Allmählich löst sich das überspitzte menschliche Ordnungsgefüge der Skyline völllig auf. Das Video ist beendet, wenn die letzte Schnecke die Versuchsanordnung verlassen hat.
Die Orignialaufnahmezeit war 3:56 h.

und

Loisada, Avenue C 2004, 52 Minuten (eng)
Maeva Aubert, Frankreich


„In der New Yorker Umgangssprache bedeutet Loisada „Lower East Side“. Dies ist auch der Name der Gegend in der sich an der Avenue C ein Gemeinschaftsgarten befindet. Während meiner Zeit in New York filmte ich den Garten in den verschiedenen Jahreszeiten. Mein Film ist keine didaktische Dokumentation sondern eine persönliche Erfahrung, eine Plastik, Klang und Poesie. Gärtner erzählten mir über ihr tägliches Leben außerhalb des Gartens, andere, mehr zurückhaltendere Personen gaben mir Rezepte, berichteten über ihren Lieblingsfilm usw...
Loisada Avenue C ist eine Parabel über das Verhältnis der Menschen in diesem abgeschlossenen Garten, einem Lebensraum, der soziale Verbindungen zwischen den ärmeren Bewohnern der Gegend schafft, und der urbanen Kultur in New York. Dieser Film über die menschliche Natur und die Qualität des Lebens entstand zwischen 1998 und 1999 als ich in New York lebte. Die Interviews mit den Gärtnern waren meine Form des „sich kennenlernens. Auf dem Weg zwischen meiner Wohnung und dem Garten entstanden die Audioaufnahmen des Großstadtlärms. Erst später filmte ich den Garten mit 16mm, Super8 und machte Photos.“



Mittwoch 26. Oktober 2005
20 Uhr

4 Woman 2001, 23 Minuten (OmeU)
Hanna Smitmans, Deutschland

In vier Poträts schildern vier Frauen ihr Leben ohne Aufenthaltsgenehmigung in Amsterdam. Die Hände der Frauen, gefolgt durch die Kamera, sind Sinnbild für den Aufbau ihrer unabhängigen Existenz. Die Bilder zeigen die Frauen als aktiv Handelnde, die sich den immer wieder neuen Hürden des Alltags mit Ausdauer widersetzen.


und


Common Place 2001, 24 Minuten (spanisch, englisch, deutsch)
Claudia Aravena Abughosh und Guilermo Cifuentes, Chile

Der Film, der auf einer audiovisuellen Korrespondenz zwischen Santiago de Chile und Berlin basiert, benutzt Austausch und Dislokation als poetische Grundlage und Arbeitsmethode. Durch Überlagerung und ständige Bewegung ist das Video vor allem Ausdruck zeitlicher Ereignisse, die Brücken zwischen dem „hier und dort“, „heute und morgen“ und dem „einen und anderen“ schlagen. Santiago de Chile und Berlin / Deutschland werden im Wechsel von Blicken, Tönen, Bildern und Texten zum alltäglichen Spielraum, einem Ort an dem sich Gemeinschaft in der existentiellen Auseinandersetzung eines Fremden, zerrissen zwischen der Notwendigkeit des Abstandes und dem Wunsch des Dazugehörens, als subjektiv darstellt.
Das Video wurde ohne Übersetzungen in drei Sprachen konzipiert (spanisch, englisch, deutsch).


und


Kayam Al Hurbano 1999, 35 Minuten (OmeU)
Tirtza Even und Alon Bosmat, Israel / USA

Das Material für diese Arbeit wurde im Sommer und Herbst '98 in Deheishe aufgenommen, einem Flüchlingslager nahe Bethlehem in der Gegend von Hebron. Während dieser Zeit haben wir Leute besucht und interviewt, deren Häuser, wie bei vielen Bewohnern des Flüchlingslagers, von der israelischen Regierung zerstört wurden oder die Androhungen von Zerstörung erfahren haben. Fragmente ihrer Geschichten und Kommentare sind mit den aufgenommenen Bildern und einem traumartigen Text von Bosmat Alon verwoben, der die Komplexität unserer Situation als Zeugen reflektiert – sowohl eingriffen, wie auch außenstehend, fremd oder schuldig. Das Video ist durchdrungen von der großen Stille des ständigen Wartens, von starren Momenten und Unbeweglichkeit.

Tirtza Even war in den vergangenen 10 Jahren als Videokünstlerin und Dokumentarfilmerin aktiv. Ihre Arbeiten wurden im Modern Art Museum, NY, auf der Whitney Biennale, der Johannesburg Biennale, wie auch auf vielen anderen Festivals, in Gallerien und Museen in den USA, Israel und Europa präsentiert. Als Gastrednerin war sie auf zahlreichen Konferenzen und Universätsprogrammen geladen, u.a. im Whitney Museum Seminar, dem Digital Flaherty Seminar, beim jährlichen Art Pace Forum und der ACM Multimedia Konferenz. Zur Zeit unterrichtet sie als Vollzeitprofessorin im Rahmen des Interactive Telecommunications Programmes, NYU, an verschie-denen Universitäten und Colleges im Bereich Video- und Multimediaproduktion und Postproduktion, Experimental- und Dokumentarfilmtheorie, Videokunst und Medientheorie und veröffentlicht Artikel über Videokunstgeschichte und -theorie in Israel und den USA.

Das Programm im November



Mittwoch 02. November 2005
20 Uhr

Die Sammlung Goetz aus München zeigt:

Extracurricular Activity Projective Reconstruction #1 2000, 29 Minuten (eng.)
Mike Kelly, USA

Dieses Video, basierend auf einem gefundenen Foto aus einem Highschool-Jahrbuch, ist das erste in einer Serie von 365 geplanten Tapes und Installationen, die sich auf Mike Kelleys Skulptur Educational Complex (1995) beziehen werden. Bei dieser Skuptur handelt es sich um ein Architekturmodell aller Schulen, die er besucht hat, worin alle die Sektionen leer bleiben, an die er sich nicht erinnern konnte. Gemäß der psychologischen Theorie des „Repressed Memory Syndroms“ erklärt er diese Leerstellen zu potenziellen Orten von Misshandlungen. Diese Videoserie ist so angelegt, dass die räumlichen Erinnerungslücken mit standardisierten Misshandlunsszenarios aus der Literatur zum „Repressed Memory Syndrom“ gefüllt und angereichert werden durch Details aus der eigenen Biografie und Erinnerungen aus dem kollektiven Bewusstsein des Films und der Literatur.

und

Alpsee 1994, 14 Minuten
Matthias Müller, Deutschland


In Alpsee kombiniert Matthias Müller seine spezifische Arbeitsweise, die experimentell-surrealistische Montage von Found-Footage Material, erstmals mit dem konventionellen Erzählen einer Geschichte in Spielfilmszenen. Der Film verwendet einerseits exakt nach einem Drehbuch gedrehte Szenen, andererseits greift er zurück auf Filmmaterial aus dem Privatbestand von Müllers Vater, sowie auf ausgesuchte Szenen aus den TV-Serien Fury und Lassie.
Die Story dreht sich um einen in den frühen 1960er Jahren heranwachsenden Jungen und dessen Verhältnis zu seiner Mutter. Beide verbindet eine seltsam emotionslose Beziehung aus der alles Liebevolle und Körperliche ausgeklammert ist. Die meiste Zeit sieht man die Mutter im Haushalt. Sie putzt, sie bügelt, sie backt und kocht, während der Junge gelangweilt daneben sitzt. Als die Mutter den Sohn einmal umarmt, wirkt dies jedoch nicht wie eine liebevolle Geste, sondern eher wie eine Umklammerung. Die Montage und Wiederholung ähnlicher Szenen aus der TV-Serie Fury machen dies besonders anschaulich.
Aus seiner engen Welt kann der Junge sich nur durch Tagträume flüchten. Seine Sehnsucht nach Freiheit spiegeln auch die Motive des Himmels und des Alls wieder, die häufig die Fantasien einleiten. Auf den ersten Blick sieht der Junge sehr brav aus. Er hat das Haar ordentlich zu Seite gescheitelt und das Hemd bis zum obersten Knopf geschlossen. Dennoch hegt er aggressiv, subversive Gedanken.
Die Geschichte in Alpsee wird durch das Found-Footage-Material von Matthias Müllers Vater eingerahmt. So sieht man am Anfang Bilder einer Hochzeit und am Ende das Bild von Müllers im Sonnenuntergang badender Mutter. Dagegegen haben die Szenen aus den TV-Serien Lassie und Fury eine die Narration unterstützende Funktion. Sie visualisieren die Träume des Jungen oder sie verdoppeln bestimmte Szenen. Seine experimentelle und surrealistische Kraft entwickelt Alpsee über die Ebene der Montage, die nach dem Prinzip der Änlichkeit funktioniert.



Mittwoch 09. November 2005
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

Requiem für meine Mutter 2002, 35 Minuten
Christine Reeh, Deutschland


Als ihre Mutter an Weihnachten 2001 an Krebs stirbt, entscheidet sich die Regisseurin dieses autobiografischen Filmes ihr einen Erinnerungsbrief zu schreiben, der eine tagebuchähnliche Form annimmt und Vergangenheit und Gegenwart miteinander verwebt. Es geht um die letzten Momente der Mutter, die Monate nach ihrem Tod und wie das Leben nach und nach weitergeht.
Gefilmt zwischen Deutschland und Portugal ist das Ergebnis ein aus alltäglichen und persönlichen Bildern zusammengetztes Requiem.

und

Sept visions fugitives 1995, 31 Minuten
Robert Cahen, Frankreich


Robert Cahens Videokunstwerk wurde beim Internationalen Medienkunstpreis 1996 als mit Abstand herausragendste Arbeit des Wettbewerbs bezeichnet. In seiner vollkommenen Poetik schafft es eine eigenständige Bild- und Tonsprache, die sich formal und inhaltlich nicht an etablierte visuelle Ausdrucksformen anlehnt und gleichzeitig weit über eine experimentelle Studie hinausgeht. Der impressionistische Gestus vermittelt nicht nur „Visionen“ des China von heute, im Zug, im Park, auf dem Markt, sondern auch von gestern, indem die elektronische Bearbeitung des Bildes und des Tons einen visuellen Klangraum schafft, der dem Geist vergangener Epochen und Ästhetiken nahe kommt. Das Band sprengt jeden erzählerischen Rahmen und verdichtet sich zu einem Reigen eindrücklicher Bilder, geordnet in 7 Episoden. Zwischen einem Kinderauge am Anfang und dem Ohr eines Bonzen am Ende gelingt es Cahen meisterlich, den Zuschauer zu fesseln, ohne je eine Geschichte zu konstruieren. (1. Preis Internationaler Medienkunstpreis 1996)



Mittwoch 16. November 2005
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

Werkschau 1997-1999, 88 Minuten
Chantal Michel, Schweiz


Chantal Michel erforscht in ihren Foto-, Video- und Performance-Arbeiten das Spektrum menschlicher Emotionen. Für sie steht fest, dass Kunst nicht etwas ist, das ausserhalb liegt, sondern die eigene Person und den Körper betrifft. Die Räume, in denen sich die Künstlerin inszeniert, sind real: eine alte Brauerei in Bern, ein Trödelladen in Thun, ein Luxushotel in Paris. Durch ihre Präsenz schafft sie Bilder, in denen das Unheimliche eintritt, Bilder im Zustand des Dazwischen, Bilder zwischen Wachsein und Traum. Sie schafft das, was im Märchen möglich ist. Sie schafft Verwandlungen, arrangiert ihren Körper in einer ausgewählten Umgebung, verfremdet ihre Anatomie und führt symmetrische Stellungen aus, die sie einem Gegenstand oder Gewächs angleichen.
„In meinen Videoarbeiten will ich ein Gefühl, einen Zustand zeigen“, sagt die Künstlerin. Und es ist oft mehr als das. Um Schwerelosigkeit z.B. geht es in „Weißes Rauschen“. Sie selbst bewegt sich auf dem Boden, rollt und ruscht auf und ab. Doch die Kamera ist so montiert, dass der Eindruck entsteht, sie hinge an der Wand, arbeite sich hinauf, fiele wieder herunter. Chantal Michel arbeitet immer mit sich und ihrem eigenen Körper und tut dies mit vollem Einsatz. Sie rennt gegen Wände, und jeder Schlag ist wie ein lauter Schrei der Verwzeiflung, sie isst dutzende Pralinen bis zum Erbrechen, sie hängt sich wie einen alten Mantel in den Schrank oder verknotet sich in ein Kabel. Doch die extremen körperlichen Zustände in ihren Laborsituationen verweisen auf mehr, als auf das reine Ausloten von Belastbarkeit: sie sind Spiegel der Psyche, bringen seelische Befindlichkeiten zum Ausdruck. Das klingt existenziell und bedrohlich, doch Chantal Michel bewahrt bei ihren Versuchsanordnungen immer ungeheure Leichtigkeit, eingebettet in ästhetisch ansprechende Arrangements. Eine harmlose Fassade, die den Abgründen den Schrecken nimmt und sie beinahe erträglich machen. Versöhnlicher Schrecken, kunstvoll, sparsam und von großer Überzeugungskraft.



Mittwoch 23. November 2005
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

Invisible 2004, 12 Minuten
Kassandra Wellendorf, Dänemark


Wie benehmen sich die Leute, wenn sie auf den Bus warten? Und wie spiegeln sich Gedanken und Gefühle in ihren Bewegungen und ihrer Mimik wieder? Kassandra Wellendorf hat eine poetisch sinnliche Bilderzählung geschaffen, die der unterbewussten und unüberlegten Gestik der Wartezeit nahegeht; die kleinen Bewegungen, die das Gefühl der Einsamkeit, der Irritation und der Rastlosigkeit markieren. Im Film wird ins Blickfeld gerückt, wie wir auf einmal einander physisch nahe und doch unsichtbar für einander sind. Wie wir in der Begegnung mit dem Anderen eine unsichtbare, persönliche Grenze bezeichnen, um unseren eigenen Raum zu schützen. „Invisible“ legt die Choreographie der Wartezeit bloß.
Kassandra Wellendorf erforscht in ihren Werken die Möglichkeit der Filmsprache um einen anderen Blick auf die Welt zu schaffen. Sie arbeitet mit vielen verschiedenen Genren und Medien - Dokumentar, Fiktion, Animation, Interaktion und Installationen. In der Bandbreite zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven schafft sie poetische Bilder von hoher sinnlichen Qualität. Während der letzten paar Jahre hat besonders das Aufeinandertreffen von privatem und öffentlichen Raum ihre Werke beschäftigt. Kassandra Wellendorf macht seit Ende der 80'er Jahre Filme, war an internationalen Filmfestivals beteiligt und hat mehrere Filmpreise erhalten. Ihre Filme u.a. "Big Wash", "Close", "Landschaften", und "City Souls“ sind im Verleih des Dänischen Filminstituts.
Das Video „Invisible“ erhielt beim Internationalen Medienkunstpreis 2004 den Sonderpreis.

und

Letters from Tentland 2005, 50 Minuten (eng.)
Karina Smigla-Bobinski, Polen

„Letters from Tentland“ ist eine Theaterproduktion (Konzept und Regie: Helena Waldmann, Videoprojektion: Karina Smigla-Bobinski und Anna Saup, Musikalische Leitung: John H. Schiessler) und zugleich ein interkultureller Prozess. Nach der Konzeptions- und Entwicklungsphase in Deutschland im Herbst 2004 kam es zu zwei öffentlichen Aufführungen in Teheran im Rahmen eines großen Theaterfestivals im Januar 2005. Die Bühnenperformance besteht aus einer Sequenz von Tanzchoreographien und Monologen in einem audiovisuellen Rahmen aus Videoprojektionen und Musik auf einer Bühne, die zugleich Aktionsraum und Bildfläche ist und sich schließlich, am Ende des Stücks, wenn nur die Zuschauerinnen zum Gespräch mit den Künstlerinnen hinter die Kulissen gebeten werden, in einen Kommunikationsraum zwischen Akteurinnen und Publikum öffnet
„Letters from Tentland“ zitiert in seinem Titel das literarische Genre des persönlichen Berichts aus der Fremde, und auf der sprachlichen Ebene funktioniert auch die visuelle Metapher der Zelte, in denen sich die sechs iranischen Akteurinnen während des gesamten Stücks befinden: „Tschador“ bedeutet im Persischen sowohl den die Körper der Frauen ganz verhüllenden Umhang, der seit der islamischen Revolution nicht mehr nur in ländlichen Regionen getragen wird sondern per staatlicher Verordnung immer und überall im öffentlichen Leben getragen werden muss. „Tschador“ ist aber auch das persische Wort für „Zelt“. Sollten sie den Wunsch verspüren, an einem Ort zu verweilen, sind persische Frauen im öffentlichen Leben dazu verpflichtet, sich in ein kleines Zelt, das sie mit sich führen, zu setzen. Für totalitäre Gesellschaftsordnungen, in denen elementare Zeichen als rigorose Regeln gesetzt werden, typisch, ist der „Tschador“ in seiner doppelten Erscheinung also ein allgegenwärtiges und fundamentales Zeichen für die Rolle der Frauen im System.
In der Bildsprache des Projekts „Letters from Tentland“, das ursprünglich „Letters from Tehran“ hieß, aus Gründen der iranischen Zensur umbenannt werden musste und so unfreiwillig eine hintersinnigere, wesentlich treffendere Bezeichnung erfuhr, werden diese kleinen, zusammenfaltbaren Eine-Frau-Zelte als Zeichen einer gesellschaftlichen Situation inszeniert. Das Bühnenstück visualisiert diese Situation nicht dokumentarisch (ein solcher Ansatz hätte die Aufführung in Teheran aus politischen Gründen unmöglich gemacht), sondern übersetzt sie in tänzerische Be-wegung, in Bilder von eindrücklicher Kraft, die mit den Videoprojektionen und der Musik verschmelzen. Nach der einleitend auf den geschlossenen Vorhang projezierten Fotoserie von im ganzen Land aufgenommenen Frauen-Zelten, unter die sich gegen Ende der Sequenz – als lakonischer Kommentar zu den Grenzen der religionspolitischen Kontrollmacht – Notunterkunft-Zelte für Erdbebenopfer ohne Ansehen des Geschlechts mischen, kommen die in ihrer undurchsichtigen Körperlichkeiten gespenstisch wirkenden Zelte in einer Gruppenchoreographie tastend und vorsichtig in Bewegung, erproben ihre Möglichkeiten. Und dann macht aus einem nach vorne gekommenen Zelt eine der sechs Performerinnen in einem ersten Monolog die Ambivalenz des Verhülltseins, die Ohnmacht und untergründige Macht der Unsichtbaren plastisch greifbar. Dies ist der Auftakt.
Dieses Wechselspiel von Choreographien und programmatischen Monologen bildet den Grundrythmus. Das immer wiederkehrende Erstaunen über die stumme „Körpersprache“ der Zelte mischt sich mit der Ergriffenheit, wenn aus den seitlichen Schlitzen der Zelte Hände auftauchen und wenn in ihren Fenstern hinter dem Fliegennetz ein Gesicht erscheint und wenn dann schließlich, als ambivalenter Schlusspunkt, das Zelt wirklich kurz geöffnet wird.
Neben der Musik, die traditionelle Motive mit Elektronischem verbindet, spielen die Videoprojekt-ionen von Karina Smigla-Bobinski und Anna Saup eine tragende Rolle. Überwiegend kontrapunktisch gesetzt, erscheinen stehende Bilder als Kulisse für bewegte Choreographien und filmische bzw. animierte Sequenzen auf dem geschlossenen Vorhang oder auf statischen Bühnensituationen. Wechseln sich Bewegung und Sprache auf der Bühne ab, so setzt sich auch das Repertoire der Projektionen aus Bildern und Text zusammen. Die Projektionen fungieren als Rahmen, indem sie einen topographisch-kulturellen Hintergrund aufbauen: Sie holen mit den Bildern der Zelte, mit der monumental vergrößerten Schleier- oder Netzstruktur, mit dem Stadtpanorama von Teheran und der Innenansicht der Notunterkunft genauso wie mit den laufenden Farsi-Schriftzeilen die iranische Welt auf die Bühne. Dies ist eine konkrete Verortung des Bühnengeschehens. Ein Element jedoch durchbricht den Rahmen: Die Sequenz der nur in ihrer weißen Silhouette sichtbaren unverschleierten Tänzerin ist imaginär. Sie zeigt schemenhaft das, was nicht sein darf, und holt damit flüchtig und immateriell das während des gesamten Bühnen-stücks in elaborierter Symbolsprache Verschlüsselte unmittelbar ins Bild. (Konsequenterweise ist die Sequenz in den beiden Teheraner Aufführungen in dieser Form an der Zensur gescheitert.)
„Letters from Tentland“ ist mehr als nur eine Theaterproduktion. Neben einer Buchpublikation und einer website, deren Forum immer neue Botschaften aus dem Iran zugänglich macht, die in Zukunft auch in das grundsätzliche offene Textkonzept des Bühnenstücks einfließen können, gibt es eine Videodokumentation des Projekts, die Karina Smigla-Bobinski während einer der „try-outs“ genannten Aufführungen in Deutschland vor der eigentlichen Premiere in Teheran gedreht hat. In dieser Produktion beschränkt sich Smigla-Bobinski ganz auf das Theater – keine zusätzlichen Bilder und Materialien, keine Interviews und Gespräche, etwa mit den sechs iranischen Performerinnen (was zudem auch immer politische Risiken für die in Teheran lebenden Künstlerinnen mit sich hätte bringen können). Stattdessen eine bewusst zurückhaltende Wiedergabe des auf der Bühne Gezeigten. In Totalen von einem festen Standpunkt aus sind die Gruppenchoreographien und die bühnenfüllenden Videoprojektionen zu sehen, in Nahaufnahmen werden die Monologe aus den Zelten ins Bild geholt, Halbtotalen zeigen die Interaktionen zwischen einzelnen Performerinnen in ihren Zelten.
Diese extrem zurückgenommene Art der Darstellung im Medium Video, das doch unbegrenzte Möglichkeiten der Weiterentwicklung böte, transportiert eine klare Botschaft: Was bei dem Projekt „Letters from Tentland“ wirklich zählt, ist das Ereignis seines Zustandekommens. Das Zusammentreffen von europäischen und iranischen Kulturschaffenden in einem von vielen äußeren Zwängen bedrohten und diese Zwänge immer auch zum Thema machenden Gestaltungsprozess, der in den beiden öffentlichen Aufführungen in Teheran seinen Kulminationspunkt gefunden hat, ist die Essenz des Projekts. Mit dem Medium der reinen, „historischen“ Dokumentation der Theaterperformance hat sich Smigla-Bobinski außerdem den Freiraum geschaffen, das Projekt „Letters from Tentland“ in seinen weiteren Entwicklungsschritten, deren nächster großer etwa die Performance im Rahmen der Biennale in Venedig sein wird, auf wieder neue Weise zu begleiten und zu erweitern.



Mittwoch 30. November 2005
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

untitled part 3b: (as if) beauty never ends.. 2003, 11 Minuten (OmeU)
Jayce Salloum, Kanada

Die Arbeit kreist um viele Dinge, wie blühende Orchideen und wachsende Pflanzen, die von Original Filmaufnahmen des Massakers von 1982 in den Flüchtlingslagern Sabra und Shatilla im Libanon überlagert werden. Wolkenaufnahmen, Hubbell Weltraumaufnahmen, sichtbar gemachte Körperquerschnitte und abstrakte Zeitlupenaufnahmen von Wasser sind mit den Reflektionen über die vergangenen Ereignisse, die gegenwärtigen Zusammenhänge und deren Duldung verknüpft. Mit der unterlegten Stimme von Abdel Majid Fadl Ali Hassan (ein 1948 - Flüchtling der im Bourg El Barajneh Lager lebt), der die Geschichte wiedergibt, die ihm die Trümmer seines Hauses in Palästina erzählt haben und der Tonuntermalung des Clips, wird das Video zu einem intensiven Essay über „Dystopia“ in der heutigen Zeit. Eine elegische Reaktion - direkt, unter die Haut gehend und metaphorisch.

und

untitled part 1: everything and nothing 2001, 41 Minuten (OmeU)
Jayce Salloum, Kanada

Das Video ist ein intimer Dialog, der sich hin und her bewegt zwischen der Darstellung einer Figur des Widerstandes und der realen Person, *Soha Bechara, ehemalige Widerstandskämpferin im Libanon, aufgenommen in ihrem Schlafzimmer in Paris (während dem letzten Jahr der israelischen Besetzung), ein Jahr nach ihrer Entlassung aus der Gefangenschaft in El-Khiam, einem Ort der Folter und Verhöre, in dem sie zehn Jahre lang festgehalten wurde, sechs davon in Isolation.
Nachdenkend über Widerstand, Überleben und Wille; über Tod, Trennung und Nähe erzählend, spricht Soha Bechara ruhig und direkt in die Kamera. Nicht über die Folter berichtend, sondern von der Distanz zwischen Person und Verlust, von dem was hinter ihr liegt und was bleibt erzählend, steht ihr Ich und das Bild von ihr neben dem überzeichneten öffentlichen Image und dem Körper einer überlebenden Märtyrerin.

*Soha Bechara ist eine Heldin im Libanon. Während meiner Arbeit in Beirut in den frühen 90ern waren ihre Bilder überall in der Innenstadt und auch im Süden des Landes zu sehen. 1988 wurde sie bei dem Versuch eines Attentats auf auf die SLA, Antoine Lahad (die South Lebanese Army war eine paramilitärische Einheit, die von den israelischen Streikräften kontolliert wurde um der Besetzung Südlibanons durch Israel eine libanesische Fassade zu geben). Ich habe sie nicht direkt nach der Folter oder dem Trauma der Inhaftierung befragt. Über Details ihrer Gefangenschaft und den Einzelheiten ihres Überlebens, den Bedingungen in El-Khiam, den Häftlingen und dem Widerstand hatte die europäische und arabische Presse sie bereits schier zu Tode interviewt. Ich besuchte sie in ihrem kleinen Schlafzimmer, das nicht größer war als ihre Gefängniszelle (sie studiert zur Zeit internationales Recht an der Sorbonne). Sie saß auf ihrem Bett und ich befragte sie über das unterschiedliche Leben in Khiam und Paris, und Beirut und Paris, und was sie in Khiam verloren hat, was sie von dort mitbrachte, eine Geschichte über Blumen, die sie nie in Wasser stellte, wie es sich anfühlt jetzt derart beachtet zu werden, und wer sie war, und welchen Titel das Video erhalten sollte, und ein paar andere Dinge. Dieses Videomaterial, das ich in der Zeit mit ihr aufgenommen habe ist nicht wertvoll, es ist Zeit und Gespräch, und intensive Vertrautheit in einer nahen und unübertretbaren Distanz.

Das Programm im Dezember


Mittwoch 07. Dezember 2005
20 Uhr

Die Sammlung Goetz aus München zeigt:

Bemerkungen über die Farben 1994, 56 Minuten
Gary Hill, USA


Seit über 20 Jahren umkreist das Werk von Gary Hill (*1951) die Prozesse der Wahrnehmung und des Bewusstseins, das Verhältnis von Bild und Sprache vor dem Hintergrund der Übermacht der technischen Bilder. In „Remarks on Color“, hier in der deutschsprachigen Fassung, erlebt der Betrachter ein junges Mädchen, das aus dem 1951 entstandenen Traktat „Bemerkungen über die Farbe“ von Ludwig Wittgenstein vorliest. Der Text besteht aus komplizierten, aphoristischen Fragen und Überlegungen zu der Möglichkeit, die farbige Erscheinungsweise der sichtbaren Welt sprachlich zu fassen, eine Möglichkeit, der der Philosoph selbst kritisch gegenüberstand. In den Verständnishorizont eines Kindes übertragen, das sich konzentriert und suchend bemüht, den Text zu verstehen und verständlich zu machen, werden Wittgensteins komplexe Reflexionen zu Fragen voll Sinn und Bedeutung transformiert. In der Projektion setzt Hill auf den Effekt des Blowups, um das Bild in seinem einfachen kompositionellen und farblichen Aufbau gegen den Text zu setzen. Die wenigen markanten Farben (der grüne Pullover des Kindes, das Rot des Buches, der dunkle Hintergrund) nehmen als Ganzes Bezug auf den Text. Hill verwandelt in „Remarks on Color“ das technische Medium in ein poetisches Instrument der Welterfahrung und Selbstvergewisserung.



Mittwoch 14. Dezember 2005
20 Uhr

Wand 5 aus Stuttgart zeigt:

Tom 2002, 75 Minuten (eng.)
Mike Hoolboom, Kanada

Tom ist ein „experimenteller“ Dokumentarfilm, der fast ausschließlich aus gefundenem Material besteht. Das ist Film wie ein deja`vu – oder wie ein deja`voodoo -: Viele Ausschnitte werden dem Zuschauer nur allzu vertraut sein, obwohl sie nun dazu dienen, diese eine höchst ungewöhnliche Biographie zu versinnbildlichen, die quasi als Projektionsfläche fungiert. Kulisse für die Lebensgeschichte von Tom Chomont, Schlüsselfigur des New York Untergrounds und berühmtberüchtigter Videokünstler, Aids-Kranker und Erzähler, ist dabei die Geschichte von New York, die auch meist fotografierte Stadt der Welt ist.



Mittwoch 21. Dezember 2005
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

Double Blind/No Sex Last Night 1992, 75 Minuten
Sophie Calle, Frankreich und Gregory Shepard, USA


Im Januar 1992 realisiert Sophie Calle zusammen mit dem amerikanischen Künstler Greg Shephard das Video 'Double Blind' und erreicht damit den absoluten Kulminationspunkt ihrer Arbeit rund um die Invasion des Privaten. Das Genre des Roadmovie nachahmend, reisen die beiden Protagonisten in einem silbernen Cadillac Kabriolett quer durch Amerika, jeder mit seinem Video Camcorder ausgestattet, dessen Aufzeichnungen voneinander geheim gehalten werden. Biedere, amerikanische Landschaften zucken in Standbildern vorbei. Shephard spielt rauher Macho und sensibler Softie und interessiert sich vor allem für sein Automobil, das er Honey nennt. Sophie Calle will nur eins: Heirat in Las Vegas. Sie ergötzt sich an der Idee, von einem Mann bis zur letzten bürgerlichen Instanz Ehe begehrt zu werden. Einmal im Leben muss es sein. Greg ist Mittel zum Zweck - weit entfernt von einem Ideal. Im klassischen Schuss/Gegenschuss Verfahren verwebt der Film die differierenden Sichtweisen. Die 'Drive-In-Heirat' gerät zur peniblen Farce. Es kommt wie es kommen muss: Nach einem kurzen Hoch geht das forcierte Glück auseinander.
Double Blind ist weder Roadmovie noch Liebesfilms. Das Innere des Cadillacs wird zum massgeblichen Universum des zankenden Paares.


und

Warten auf den Weihnachtsmann 1995, 3 Minuten
Foxy Lady im Winterland 2003, 3 Minuten
Schnee gestern Schnee heute 2003, 3 Minuten
Dagie Brundert, Deutschland


"Es ist diese fiese Zeit zwischen den Jahren. Heute ist Weihnachten. Berlin ist Sibirien. Mein letzter Lover war eine Niete. Es ist soooo kalt, Hilfe! Aber meine Oma sagte immer: "Mädchen, wozu hast du deine Zöpfe? Zieh dich raus! Und hier kommt ein Heilritual zum Nachmachen:
Zieh dir rote Sachen an und geh tanzen! Und hier noch ein Heilritual: Renne mit einem roten Kleid, aber ohne Unterhose, durch den Schnee. Und verliere nie, nie deine Sonne! Yeah!"

Für alle „Weihnachtsmuffel“ drei kurze und erheiternde Betrachtungen der virtuosen Berliner Super 8 Filmerin Dagie Brundert zur Weihnachtszeit.



Mittwoch 28. Dezember 2005
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

Gramsciategui ou les Poesimistes 1999, 55 Minuten
Gianni Toti, Italien


Das Video wurde als zweiter Gesang nach der „Videopoemopera Tupac Amauta“ angekündigt. Aber können wir unter den Bomben, die das vereinte Europa (Frankreich, Italien, England) auf die Menschen wirft, singen? Können wir den Epos von Jose Carlos Mariategui und Antonio Gramsci unter tödlichen Bomben singen? Es war besser das Lied in einen Schrei umzuwandeln, die Sequenzen der bewegten Bildfarben zum Schreien zu bringen. Oder die Jagd der Schneeeule nach der kleinen Ratte in eine Allegorie auf den schrecklichen Krieg zu verwandeln, der nicht besungen werden kann. Sich in gleicher eigenartigen Weise mit den „rhetorems“ der zeitgenössischen Sprachkrise in den Glypten der Maya und anderer Menschen zu befassen, die 500 Jahre Massenvernichtung erfahren mußten – und das nicht nur in Lateinamerika. In diesem Gedankengang entwickelt sich der Schrei, wie ein zurückhaltendes Lied, zur großen Metapher von Quetzalcoatl, der Schlange, die die Stufen der Pyramide hinaufkriecht, sich in einen Vogel, einen Adler verwandelt und schließlich in einen Mensch (falls die Menschheit schon existiert....aber wir sind noch immer eine prähistorische Spezies von bewaffneten Mördern und Kriegern). Letztendlich ist es uns gelungen die wenigen Filmbilder zu zeigen, die wir, unsanft erwacht, in Antonio Gramscis's Geschichte und Bewußtsein finden konnten. Der zweite Schrei ist folglich auch der, der malerischen, skulpuralen und hauptsächlich der „artronic“ Bilder. Die „sonata in red major“ versucht demnach ein Schrei elektronischer Poesie zu sein..........aber laßt uns jetzt schon den dritten Schrei ersinnen und vorbereiten, um diese sonderbare Trilogie zu Ende zu bringen. Die Entdeckung der Sprache der elektronischen Kunst geht weiter.............

Das Programm im Januar 2006


Mittwoch 04. Januar 2006
20 Uhr

Die Sammlung Goetz aus München zeigt:

Bedevil 1993, 86 Minuten (eng.)
Tracey Moffatt, Australien

Mit ihren komplexen Bildentwürfen avancierte die australische Fotografin und Filmemacherin
Tracey Moffat zur bekanntesten Avantgardekünstlerin ihres Landes. Die 1960 in Brisbane als Halb-Aborigine geborene Künstlerin bezieht sich in ihren Arbeiten sowohl auf die kulturellen Wurzeln der westlich angelsächsischen Lebenswelt wie die der australischen Ureinwohner. Spannungen zwischen diesen Welten bestimmen die Themen ihrer Arbeiten.

Bedevil, der erste Langfilm der Künstlerin erzählt in drei Episoden die Geschichten von geisterhaften Erscheinungen und Begegnungen in stark farbigen Bildern und Kulissen. Angeregt durch Geistergeschichten, die die Künstlerin als Kind sowohl von ihren aborigine- als auch irischstämmigen Familien gehört hatte, baut Tracey Moffatt eine Trilogie auf, in der die Darsteller von der Vergangenheit gejagt und ihren Erinnerungen verhext werden. Alle drei Geschichten spielen in der für Tracey Moffatt charakteristischen hyperrealen, hochstilisierten australischen Landschaft.



Mittwoch 11. Januar 2006
20 Uhr

Wand 5 aus Stuttgart zeigt:

Winterspruch 1999, 47 Minuten
Oliver Hardt, Peter Rippl, Stefan Beck, Uwe Buhrdorf u.a., Deutschland


Winterspruch ist ein Gemeinschaftswerk von 10 Filmemachern aus Frankfurt/Main, Offenbach, Köln und Kassel, entstanden in der Auseinandersetzung mit den Neufassungen von Eisler-Liedern der Frankfurter Band "arbeit". So verschieden die künstlerischen Konzepte und Temperamente der beteiligten Filmemacher und Filmemacherinnen sind, so komplex und vielschichtig ist das Ergebnis ihrer gemeinsamen "Arbeit für Eisler". Vom "sozialistischen" Musikvideo über Variationen zum 50 Hz-Filmmern des PAL-Fernsehbildes, von der bildlichen Anlehnung an die Musik als eine Form von Filmpoesie zum thematisch geleiteten Episodenfilm, vom Bild einer einsamen mannsgroßen Ratte auf einem häßlichen Fußgängerüberweg bis zum sechs Minuten langen Schweigen in den Suff suchen die Filmautoren nach Umsetzungen von Eisler-Liedern in Film. Darüber hinaus werden die Lieder und Filme in einen zeitgeschichtlichen und biografischen Zusammenhang gestellt: O-Töne aus Gesprächen mit Eisler und Dokumentarmaterial aus den DDR-Archiven fügen sich zu einem zweiten Erzählstrang, der die Widersprüchlichkeit des bürgerlichen Komponisten im Arbeiter- und Bauernstaat und das Scheitern einer persönlichen Utopie dokumentiert.



Mittwoch 18. Januar 2006
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

Falls Burns Melone Fiddles 2003, 33 Minuten (eng.)
Duncan Campbell, Irland


Duncan Campbell griff für die experimentelle Dokumentation “Falls Burns Malone Fiddles" über Jugendliche in West-Belfast auf Material aus zwei Fotoarchiven in Belfast zurück. Vor dem Hintergrund des lose aneinander gefügten Ausgangsmaterials verstrickt sich der Erzähler in die divergierenden Rhetoriken der Jugend- und Unabhängigkeitspolitik sowie in formale Fragestellungen über die Möglichkeiten und Einschränkungen des Dokumentarfilm als Genre, das immer auch als fiktional angesehen werden kann.

und

The edge of rain 1995, 42 Minuten (OmeU)
Marcello Mercado, Argentinien

Die lateinamerikanische Kultur pflegt sich mit dem Tod zu beschäftigen. Zu Allerseelen besuchen Massen von Mexikanern die Friedhöfe um dort in karnevalistischer Atmophäre Schädel aus Zucker zu verzehren. García Marquez schrieb Chroniken über einen angekündigten Tod. Mercado bleibt fest verwurzelt in dieser Begräbnistradition. Nach einer harmlosen Einleitung in der ein impressionistisch gemalter Wald das Dekor für einen langsam fallenden Tropen Blut bildet (vergleichend mit dem Mythos der chinesischen Wasserfolter), gibt es ein paar sehr ausgesuchte Zitate von berühmten Unheilverkündern wie Blake, Marx und Hegel, und dann wird das Expose wirklich fließend. Ein Kreis gegensätzlicher Konzepte wird auf eine weibliche Scham projeziert. Das grundlegenste und inspirierenste Duo bilden Sex und der Tod. Die Geschichte einer Frau, die ihr Kind in einem Gefängnis des schmutzigen, argentinischen Bürgerkriegs entbinden muß ist ist ein wunderbar extrem peinvolles Beispiel. Ein Foto von Maradona als „Gott mit Fußball“ ist nicht weniger schrecklich als seine Auswirkungen. Sogar alte Familienaufnahmen können etwas anderes hervorrufen als Zärtlichkeit. Wirklich geschickt ist es, dass es Mercado trotz all der dunklen Themen gelungen ist, keine Horrorshow zu produzieren, sondern eine Kombination aus Ekel, Faszination und Mitgefühl zu erzeugen.

und

Home Made 2004, 5 Minuten
David Lachmann, USA


"Home Made" folgt einem Mann auf der Suche nach einer neuen Möglichkeit seine Lieblings-Eiscreme zu genießen. Das humorvolle Video untersucht was geschieht, wenn wir die Dinge wörtlich nehmen und nicht auf unsere Impulse achten. Hoffentlich erinnert es uns daran, dass es mehr zu sehen und zu erleben gibt, wenn wir naiv an das Leben herangehen.



Mittwoch 25. Januar 2006
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

Papa & Co 2005, 34 Minuten
Anja Steidinger, Deutschland


Anja Steidinger befasst sich in ihren Arbeiten mit persönlicher und gesellschaftlichen Identitätsbildung. In dem Video "Papa & Co" befragt sie ihren eigenen Vater nach gesellschaftlichen Vorstellungen in Hinblick auf politische und soziale Praxis in seinem Privatleben und der verbleibenen Insel des realexistierenden Sozialismus, Kuba. Sie untersucht dabei das Verhältnis der Bezeichnungen "Ideologie" und "Vater".
Während einer gemeinsamen Reise mit ihrem Vater innerhalb Deutschlands, Nicaragua und Kuba dokumentiert sie Gespräche, Orte und Begegnungen und schneidet das aufgezeichnete Material fragmenthaft zusammen. Die Autorin ist zugleich Tochter, Kamerafrau und Cutterin. Der Film unterscheidet sich durch die persönliche Erzählstruktur von herkömmlichen Dokumentarfilmmaterial.

und

Farbtest. 3 2004, 20 Minuten
Gerd Conradt, Deutschland


Berlin 1968, Stockholm 2002, Venedig 2003
mit Felix Gmelin, Daniel Birnbaum, Gaston Salvatore und Christoph Schlingensief.

Rot ist die Farbe aller Leidenschaften – von der Liebe bis zum Hass. Rot ist die Farbe der Könige und des Kommunismus, die Farbe der Gefahr und der Freunde.

Farbtest.3 – Die Rote Fahne, zeigt einen Staffellauf mit roter Fahne. Rote Fahnen können Revolution ebenso bedeuten wie Unterwerfung, Totalitarismus oder fröhliche Ausgelassenheit. Der symbolische Kontext ändert sich mit dem Moment (Jahrzehnt) und dem Ort des Geschehens.

Berlin, 1968: Eine Rolle Farbfilm, eine rote Fahne, eine Stafette zum Rathaus. Stockholm, 2002: Ein Sohn, ein Vater, ein Remake des Films von 1968. Venedig 2003: Eine Installation aus beiden Filmen in der Sektion „Delays and Revolutions“ auf der 53. Kunstbiennale von Venedig.

Gerd Conradt (*1941) ist seit 1982 freiberuflich tätig als Regisseur, Autor, Kameramann und Produzent. Seine Filme und Videoprogramme – meist Porträts – sind konzeptuell gestaltete Zeitbilder mit den Themenschwerpunkten: Berliner Stadtgeschichte, Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands, Studentenbewegung (RAF), Unterrichtsfilme (Poesie-Videos) und Videoinstallationen.

Das Programm im Februar 2006


Mittwoch 01. Februar 2006
20 Uhr

Wand 5 aus Stuttgart zeigt:

Neues vom freien Markt!
Entdeckungen vom 19. Stuttgarter Filmwinter


Der Stuttgarter Filmwinter findet vom 19.-22. Januar 2006 statt. Wand 5 e.V., der Verein zur Förderung der Film- und Medienkultur lädt KünstlerInnen ein, ihre Arbeiten auf dem Stuttgarter Filmwinter zu präsentieren. Aus den eingegangenen Videos wird eine Auswahl längerer Produktionen im Kunstkino – „Ein Zentrum in der peripherie“ präsentiert.



Mittwoch 08. Februar 2006
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

I Yam What I Yam 2005, 15 Minuten (eng.)
Brian Konefsky, USA

Im Jahre 1929 war die monoculare Sicht nicht nur dem Teleskop von Edwin Hubble oder den Filmkameras von Dziga Vertov vorbehalten. 1929 war auch das Jahr, in dem der einäugige „strong to the finish“ Matrose, genannt Popeye erstmals in den Vereinigten Staaten als Comic Charakter vorgestellt wurde. Noch heute nach 75 Jahren und 234 Filmen hallt Popeyes rebellischer Schrei „I yam what I yam“ noch nach, in der Hoffnung und Überzeugung seiner visionären Kollegen.

und

Auge Maschine I, II und III 2001-2003, 55 Minuten
Harun Farocki, Deutschland


Auge Maschine I 2001, 25 Minuten
Im Zentrum des Films stehen die Bilder des Golfkriegs, die 1991 weltweit Aufsehen erregten. In den Aufnahmen von Projektilen im Zielanflug waren Bombe und Berichterstatter identisch. Gleichzeitig waren die fotografierten und die (computer-)simulierten Bilder nicht unterscheidbar. Mit dem Verlust des "authentischen Bildes" wurde auch die historische Zeugenschaft des Auges aufgehoben. Es heißt, im Golfkrieg seien nicht neue Waffen zum Einsatz gekommen, sondern eine neue Bilderpolitik. Hier seien die Grundlagen einer elektronischen Kriegsführung geschaffen worden. Wichtiger als Durchschlagskraft und Kilotonnage ist heute der sogenannte C3I-Zyklus, der unsere Welt mittlerweile umspannt. C3I heißt: Command, Control, Communications and Intelligence - und meint globale und taktische Frühwarnsysteme, Geländeüberwachung mit seismischen, akustischen und Radar-Sensoren, Funkpeilung und Abhören gegnerischer Nachrichten sowie das Unterdrücken all dieser Mittel durch Störsender. Harun Farocki geht der Frage nach, wie militärische Bildtechnologien Eingang finden in das zivile Leben.

Auge Maschine II 2002, 15 Minuten (teilweise englische Untertitel)
Wie läßt sich bei heutigem technischen Stand die Unterscheidung von "Mensch" und "Maschine" noch fassen? In der modernen Waffentechnologie verschieben sich die Kategorien: Das Intelligente ist nicht mehr nur Sache der Menschen. In Auge / Maschine II versammelt Farocki Bildmaterial aus dem militärischen wie zivilen Sektor, das zeigt, wie Maschinen intelligent operieren, und was sie sehen, wenn sie auf der Grundlage von Bildverarbeitungsprogrammen arbeiten. Die traditionelle Mensch-Maschine-Unterscheidung verkürzt sich hier auf die von "Auge/Maschine", wobei Augen den Maschinen selbst als Kameras implantiert sind.

Noch durch den Golfkrieg bekam die zivile Produktion von den Kriegstechnologien einen Innovationsschub für die eigene Entwicklung. Farocki zeigt computersimulierte Bilder wie aus Science-Fiction-Filmen: Raketen steuern im Meeresglitzern liegende Inseln an, Wohnblöcke gehen in die Luft, Kampfflugzeuge beschießen sich mit Raketen und entzünden zur Abwehr virtuelle Fackeln... Diese Schlachtfelder aus dem Computer, reichen sie aus - oder brauchen wir nächste Rationalisierungsschübe für neue Kriege?

Auge / Maschine II setzt eine größere Untersuchung zum gleichen Gegenstand fort: Intelligente Maschinen und intelligente Waffen. Als Installation erscheint die Arbeit auf zwei Monitoren oder als Doppelprojektion. Hier in der Single-Channel-Version sind die zwei simultan ablaufenden Bilder in einem Bildfeld zusammengefaßt.

Beim Internationalen Medienkunstpreis von 2003 erhielt Harun Farocki für seine Installation Auge Maschine II den Sonderpreis.
Auge Maschine III 2003, 15 Minuten (teilweise englische Untertitel)
Der dritte Teil des Auge / Maschine-Zyklus soll die Materialien um den Begriff des operativen Bildes organisieren. Das sind Bilder, die einen Prozess nicht wiedergeben, die vielmehr Teil eines Prozesses sind. Schon die Cruise Missiles der 80er Jahre hatten das Bild einer realen Landschaft gespeichert und nahmen beim Überflug ein aktuelles Bild auf, die Software verglich die beiden Bilder. Ein Vergleich von Idee und Tatsächlichkeit, eine Gegenüberstellung von reinem Krieg und der Unreinheit des Realen. Diese Gegenüberstellung ist auch eine Montage, Montage ist immer auf Ähnlichkeit/Differenz aus. Viele operative Bilder sind von farbigen Hilfslinien durchzogen, die die Arbeit des Erkennens zur Darstellung bringen sollen. Die Linien teilen nachdrücklich mit, worauf es in den Bildern ankommt und ebenso nachdrücklich, worauf es auf keinen Fall ankommen soll. Das überschüssige Reale wird verleugnet - eine stetige Verleugnung mit Gegenwirkung.



Mittwoch 15. Februar 2006
20 Uhr

Wand 5 aus Stuttgart zeigt:

Neues vom freien Markt!
Entdeckungen vom 19. Stuttgarter Filmwinter


Der Stuttgarter Filmwinter findet vom 19.-22. Januar 2006 statt. Wand 5 e.V., der Verein zur Förderung der Film- und Medienkultur lädt KünstlerInnen ein, ihre Arbeiten auf dem Stuttgarter Filmwinter zu präsentieren. Aus den eingegangenen Videos wird eine Auswahl längerer Produktionen im „Kunstkino – Ein Zentrum in der peripherie“ präsentiert.



Mittwoch 22. Februar 2006
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

Hunter Ivan Billialetdinov 1999, 22 Minuten
ProvMyza: Galina Myznikova und Sergey Provorov, Russland


Der Jäger Ivan Billialetdinov geht in einem nahegelegenen Teich auf die Jagd. Eingetraucht in das schmutzige, trübe Wasser, beobachtet er eine urbane Szenerie. Auf der Suche nach Beute stößt er auf verschiedene industrielle Objekte, die den Unterwasserbewohnern Schutz vor der Harpune des Jägers bieten. Während er Fische tötet, bemerkt der Jäger einen Hund, der an der Oberfläche des Teiches schwimmt. Um keine Beute des Jägers zu werden muß der Hund emsig mit seinen Pfoten paddeln.
Mit ihrer Installation "Idiot wind" waren ProvMyza im russischen Pavilion auf der Biennale di Venezia 2005 vertreten.

und

Cela va sans dire 1999, 7 Minuten
Roland Baladi, Frankreich


Eine Videokamera wurde auf einem Motorrad befestigt, das der Künstler lenkt. Zu den Klängen von Johann Strauss´s "An der schönen blauen Donau" fährt er über einen verlassenen Parkplatz und wiegt sich und die Maschine im Takt.

und

Le Guide du Parc 2001, 36 Minuten (eng.)
Sven Austijnen, Belgien


Ein ungewöhnlicher Besuch im Park Royal in Brüssel. Der Führer dieser Fake-Dokumentation stellt die Gewohnheiten der Gay-Szene im Park vor und, sich Zeit nehmend, läßt er dich langsam hunderte von Einzelheiten des sozialen Lebens im Park entdecken. Es ist ein Lehrfilm, in dem du alles über die historischen Hintergründe des Park Royal erfährst, wie auch ein ein soziologisches Dokument, aber hauptsächlich ein humorvoller Film über eine erstaunliche Person: Le guide du parc.

Das Programm im März 2006


Mittwoch 01. März 2006
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

Media Flow, videoventure on electronic music part 1 + 2 2005, 70 Minuten

Die Ausstellungsreihe „media flow. videoventure on electronic music“ der Stuttgarter Medien-kunstgalerie „fluctuating images“ gilt dem Phänomen der visual music, einer zeitgenössischen Praxis der visuellen Musik. Seit Mitte der 90er-Jahre werden verstärkt Live-Visualisierungen, sogenannte visuals, zu meist elektronischer Musik projiziert, vor allem bei Raves und in Clubs. VJs (visual oder video jockeys) projizieren dabei mit Video-Beamern digitale Videosequenzen oder schalten diese auf Bildschirme. Visual music kann daher auch als eine Art Live-Kino verstanden werden, mit oft mehreren, auf die räumlichen Verhältnisse abgestimmten Bildflächen. Die visuals selbst können abstrakt oder figurativ sein, narrativ sind sie allerdings eher selten. Inzwischen gewinnen auch Studioproduktionen von visual music immer mehr an Gewicht, bedingt durch die wachsende Zahl von DVD-Beigaben zu CD-Releases und die Gründung von DVD-Visual-Labels. Mit den Studioproduktionen nähert sich die visual music den Musikvideos an, die Grenzen werden durchlässiger.

Die Ausstellungsreihe ist aktuellen Entwicklungen im Bereich der visual music gewidmet. Dazu wurden für „media flow. videoventure on electronic music. part I“ Film- und Videokünstler aus unterschiedlichen Bereichen eingeladen, um unterschiedliche Arten des visuellen Umgangs mit Musik aufzuzeigen. Je nach Herkunft der Visualisierer, beispielsweise aus den Bereichen Kunst, Architektur oder Design, fällt der Zugriff auf das visuelle Material und die visuelle Realisierung anders aus.

Mit Videos von:
Graw Böckler (Deutschland/Köln; Raum für Projektion), Yvette Klein und Jan Höhe (Deutschland/Köln; Traum, Trapez, MBF), Gabriel Shalom (USA/New York), Matthias Siegert (Deutschland/Stuttgart), Ilja Knesovic/visuarte (Deutschland/Stuttgart), Kartin Asen (Deutschland/Ravensburg)

Mit Musik von:
Riley Reinhold (Deutschland/Köln; Traum und Kompakt/Musikauswahl), Joachim Spieth (Deutschland/Stuttgart; Onitor und Kompakt), Thomas Brinkmann
(Deutschland/Köln; Traum), Resonator (Deutschland/Münster) u.a.

„media flow. videoventure on electronic music. part II“ ist dem Thema audiovisueller Kombi-nationen gewidmet. Seitdem die neuen Medien Realtime-Abstimmungsprozesse zwischen Bild und Ton erlauben, formieren sich immer mehr audiovisuell arbeitende Teams oder arbeiten Einzelpersonen selbst audiovisuell – und dies auch live! Neue Mixer wie der Pionier DVJ-X1 erlauben es, Audio-CDs und DVDs prinzipiell gleich zu behandeln und zu mixen, so dass live Schnitt-, Montage- und Bearbeitungsprozesse möglich sind, für die vor einigen Jahren noch eine aufwendige und zeitintensive filmische Postproduktion notwendig war. „media flow. videoventure on electronic music. part II“ stellt audiovisuelle Kombinationen als Produktionseinheiten vor und versucht, das Spektrum ihrer Möglichkeiten aufzuzeigen. Hierbei liegt das Augenmerk auf audiovisuellen Kombi-nationen mit filmischen Sequenzen, die zeitgleich zur Musik entstanden oder ihr vorgängig sind – in Umkehrung der üblichen Situation der Musikvisualisierung, bei welcher zu einer vorgängigen Musik nachträglich eine Visualisierung gefertigt wird.

Screening-Programm mit folgenden audiovisuellen Produktionseinheiten:

Pfadfinderei/Modeselektor (Berlin), Kasumi (Cleveland/USA), church of anthrax (Rotterdam), pressplay./Solovyev (Köln und Stuttgart), PhiLipp GEIST (viDeogeist)/EPHY (Berlin), GVA: Oliver Moore (Graphic Art, Stuttgart), Marcel Panne/Sehvermoegen (Video, Köln) und Tim Blechmann (Musik, Stuttgart), Sven Fernow (Kirchheim)

media flow. videoventure on electronic music wird kuratiert von Cornelia Lund und Holger Lund.


Mittwoch 08. März 2006
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

Ich wollte einfach nur dieses Foto haben 1992, 26 Minuten
Thomas Kutschker, Deutschland


Der Fotograf Olaf Wyludda wird in Kroatien, bei dem Versuch die Tötung einer alten Frau und eines kleinen Jungen zu fotografieren, durch eine Granatsalve verwundet, bevor er die Kamera auslösen kann. Zwischen der Besessenheit dieses Foto zu bekommen, die ihn alles vergessen ließ und der Betroffenheit von den Kriegserlebnissen entsteht dieses nicht gemachte Bild durch seine Erzählungen in den Köpfen der Zuhörer.

Die experimentelle Dokumentation war 1993 Preisträger des Freiburger Videofestivals.

und

Terminal Identity #4 2003, 30 Minuten
Anna Steininger, Österreich


Eine wackelige Handkamera zeigt immer wieder in subjektiven Einstellungen das Gehen um verschiedene Straßenecken einer Stadt. Der Blick ist in Gehrichtung gewandt und streift parkende Autos, Kinder, Radfahrerinnen oder Passanten, die der Kamera entgegenkommen. Die Frau hinter der Videokamera erzählt davon, warum sie diese scheinbar unbedeutenden Aufnahmen macht. Es entspinnt sich ein dichter Monolog, der in das Universum dieser Frau führt, der aber über eine autobiografische Darstellung hinausgehend auch über die Produktion und Bedeutung von Bildern reflektiert.
Die Frau erzählt, dass ihre Aufnahmen, da sie nun alt ist, anders aussehen, dass sie nur noch Zugang zu einem sehr begrenzten Repertoire der Bildproduktion hat, die jenseits der ästhetischen Norm liegt. Auf diese Weise wehrt sie sich, von der Bildproduktion ausgeschlossen zu sein und kämpft beharrlich gegen die Vergänglichkeit des Körpers, gegen das buchstäbliche Verschwinden von der Bildfläche.

Dabei wird deutlich, dass die Kamera für die Erzählerin eine Möglichkeit darstellt, mit Anderen in Beziehung zu treten, über die Form der Bilder definiert sie ihren Platz in der Welt. Abbilder gelten hier nicht im Sinne eines kritischen Medienverständnisses als Erfahrungen aus zweiter Hand oder als flache Trugbilder, sondern stellen einen sozialen Raum her, in dem die Kamera als "zwischenmenschliches Konzept“ funktioniert. Bilder zu machen und selbst in Bildern sichtbar zu sein ist konstitutiv für die Definition der eigenen Identität und die Verortung im Bereich des Sichtbaren.


Mittwoch 15. März 2006
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

Fremdkörper 2002, 26 Minuten
Katja Pratschke, Deutschland und Gusztav Hamos, Ungarn


Fremdkörper erinnert in seiner Ästhetik an die klassischen Fotofilme Chris Markers und die konzeptuellen Liebesfilme der Nouvelle Vague. Doch obwohl man bei der Geschichte der Freunde Jan und Jon und ihrer gemeinsamen Liebe Marie unwillkürlich an Truffauts "Jules und Jim"
denken muss, entpuppt sich die geradezu verschlingend-suggestive Erzählung als ein hochaktueller Exkurs über Genetik und menschliche Identität: Als die beiden Freunde, die sich gegenseitig um ihre physischen beziehungsweise intellektuellen Vorzüge beneiden, bei einem Unfall ihre Köpfe verlieren, kommt es zu einem denkwürdigen medizinischen Experiment. Was in der Erzählung - inspiriert von Thomas Mann - arg abstrus erscheinen mag, das verbindet sich in dem aus Standbildern und medizinischen Filmmaterialien höchst organisch komponierten Essayfilm auf anregende Weise.

„Fremdkörper“ erhielt 2002 den Deutschen Kurzfilmpreis in Gold und 2003 ebenfalls Gold beim Kurzfilmfestival Clermont-Ferrad.

und

Power Play 2004, 10 Minuten
Emblem 2001, 2 Minuten
'C 2001, 2 Minuten
Cecilia Lundqvist, Schweden


Die drei am Computer animierten Videos der Schwedin zeigen die Abgründe der menschlichen Natur – ironisch und makaber zugleich.

und

Carmen 1999, 23 Minuten
Anja Salomonowitz, Österreich


Ein Dokumentarfilm über die wundersame Leidenschaft der Carmen Martinek, die Kinosäle zu ihren Liebhabern macht. (Anja Salomonowitz)

Irgendwie hab ich den Eindruck, das Kino versteht mich (Carmen Dido Martinek)

Mit dem Kino sieht sie sich libidinös verbunden: Carmen, Mädchen für alles im Wiener Schikaneder-Kino, reinigt, beruhigt, bespielt ihren liebsten Ort. Sie streichelt die Sessel und sie schläft sogar nach langen Nächten an der Bar am liebsten gleich dort, im Kino. Das sei, gesteht sie, "genau wie mit einer Person, ohne die man eben nicht mehr leben könne". Anja Salomonowitz hat einen kleinen, stillen Film über diese Carmen gedreht, hat ihr zugeschaut, wie sie sich im leeren Kinosaal bewegt, wie sie bei sich daheim nur kurz Station macht, um gleich wieder zurückzukehren zur Basistation. Das Kino sieht Carmen als einen erotischen aber gefährdeten Ort: Bei ihrem letzten Kino hat sie mitansehen müssen, wie es sich in einen Supermarkt verwandelt hat. Jemand wie Carmen ist, schon solcher Stories wegen, die perfekte Heldin eines Films, und so heißt er wie sie: Carmen, 23 Minuten dokumentarisches Kino, subtil, zwischentonreich erzählt.



Mittwoch 22. März 2006
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

In drei einfachen Schritten zum Meisterwerk 2002, 8 Minuten
Marion Pfaus (Rigoletti M), Deutschland


„In drei einfachen Schritten zum Meisterwerk“ zeigt die Vielzahl der Möglichkeiten einer Heim-Videoschnitt-Software, mit der man sich Hollywood einfach nach Hause holen kann.

und


Videobrief an Rigoletti 2003, 5 Minuten
Videobrief von Rigoletti 2003, 8 Minuten
Felicia Zeller, Deutschland und Marion Pfaus (Rigoletti M), Deutschland


Die beiden Videobriefe erhielten beim 17. Stuttgarter Filmwinter 2004 den Team-Work Award der Hoppe-Ritter-Stiftung und Videobrief von Rigoletti’ erhielt auch den DASDING Publikumspreis beim 17. Stuttgarter Filmwinter 2004. Beim Internationalen Kurzfilmfestival in Hamburg erhielten die Videobriefe eine lobende Erwähnung des Jameson-Awards.

Videobrief an Rigoletti
Seit ihrem großen Erfolg hat sich Rigolettis Freundin Zeller in ihr Berliner Anwesen zurückgezogen. In ihrem Videobrief schildert sie ihren strengen Tagesablauf. Der Preis, den ein Star zahlen muss: eine sensible Gestalt in viel zu großer Umgebung, Einsamkeit und lange Wege von einem Aschenbecher zum anderen.

Videobrief von Rigoletti
Rigoletti antwortet ihrer Freundin Zeller. Rigoletti hat sich selbst entdeckt. Sie ist Popstar, hat aber noch viel zu wenig Fans. Sie arbeitet am Durchbruch. Unter anderem schreibt Sie Romane, Drehbücher, macht Musikvideos und schauspielert. Und wenn noch etwas Zeit bleibt, dann macht sie noch ein bisschen Videokunst.
www.rigoletti.de - the most unknown Popstar. Werden Sie Fan!

und

Kulturumschlagsplatz Neustadt - Halle 2004, 55 Minuten
Rüdiger Krenn, Deutschland


"Kulturumschlagsplatz Neustadt - Halle" entstand im Jahr 2004. Eine künstliche Linie wurde gezogen von Ost nach West. Alles was auf der Linie lag wurde mit der Videokamera durchschritten. Darunter waren verschiedene Bereiche der Stadt, sowie Wohnungen, Geschäfte, Lagerhallen, ein Schwimmbad, eine Kirche, Bibliothek, Schule und etliches mehr. Entstanden ist ein Querschnitt von der schrumpfenden Stadt.



Mittwoch 29. März 2006
20 Uhr

„Ein Zentrum in der peripherie“ zeigt:

Opus 110 a 2001, 24 Minuten
Christoph Brech, Deutschland


Christoph Poppen dirigiert das Münchener Kammerorchester. Die beim Dirigieren von Schostakowitschts Kammersinfonie "Opus 110a" entstehenden Falten seines Fracks visualisieren die Dynamik der Musik.

und

¾ Takt 2004, 2 Minuten
BBB Johannes Deimling, Deutschland


Ein kleines Herz schlägt im ¾ Takt.

und

Werkschau 1999–2003, 33 Minuten (teilweise englisch)
Hee-Seon Kim, Korea


Ihre Arbeiten handeln von Alltäglichem und von Träumen. Obwohl der Gegenstand ihrer Videos stets beiläufige und gewohnte Handlungen sind, vermag Hee-Seon Kim, den Betrachter in eine gedankliche Zwischenwelt zu locken, welche von Bewusstseinszuständen berichten und individuelles, emotionales Erleben mittels einer inspirierten und ansprechenden visuellen Umsetzung öffentlich machen. Ihre Arbeiten sind aber nicht eine Erzählung ihres eigenen Erlebens, sondern vielmehr das sensibel nachgefühlte Erleben von Personen, die sie beobachtet, deren Äußerung sie zum Gegenstand ihrer Arbeiten werden lässt.